Bevor die Pandemie ausbrach, schien der Markt die hohen Risiken zu ignorieren und die Preise in einem nahezu perfekten Umfeld festzulegen: Mit dem Vorbehalt, dass die Marktteilnehmer bei nicht adäquaten Bedingungen von den Zentralbanken erwarteten, subito das Umfeld für diese zu schaffen.
Schon vor dem Ausverkauf hatten die Zentralbanken die Märkte mit Liquidität vollgepumpt und die Zinssätze auf ein Niveau gesenkt, auf dem wenig bis überhaupt kein Risiko eingepreist war. Aus diesem Grund rechne ich nicht mit einer schnellen Rückkehr der Märkte auf das Niveau von Anfang Februar.
Das soll nicht heißen, dass die Märkte nicht wieder zur „Normalität“ zurückkehren könnten. Schließlich war der Zustand der Märkte schon vor der Krise eindeutig zu weit von der Normalität entfernt. Wenn die Märkte zu diesen Höchstständen zurückkehren sollten, deutet dies auf eine Marktverzerrung infolge der Interventionen seitens der Zentralbanken hin.
Navigation durch die neue Normalität
Es besteht nach wie vor eine sehr große Ungewissheit hinsichtlich der Effekte des Virus auf Volkswirtschaften, Unternehmen und Einzelpersonen, während die Auswirkungen geografisch, über Branchen und Anlageklassen hinweg stark gleichläufig sind. Darüber hinaus haben wir nicht den von uns erwarteten Rückgang des Volumens oder der Liquidität erlebt. Solange die Zahl der Coronavirus-Fälle nicht zurückgeht und die Ergebnislage der Unternehmen ersichtlich ist, dürfte diese Unsicherheit weiterhin bestehen.
Wir waren Zeugen einer immensen, schnellen und koordinierten Intervention an den Märkten. Die gesetzlichen Vorgaben für die Unterstützung seitens der Regierungen und Zentralbanken wurden umgeschrieben, wenn nicht sogar völlig verworfen. Dies bedeutet zwar die Fortsetzung eines Jahrzehnts der lockeren Geldpolitik, ist aber in dieser Größenordnung noch nie dagewesen. Die Märkte wurden durch diese Maßnahmen gestützt, beruhigt und wieder eingefangen – und jetzt klingen die Alarmglocken, da die Abrechnung ansteht. Doch vorerst sollten wir davon absehen, uns gegen die Federal Reserve und ihre Partner zu stellen.
Trotzdem bleiben wir mit Blick auf die weitere Entwicklung der Märkte vorsichtig optimistisch. Entscheidend werden dabei die Aspekte Flexibilität, kluges Agieren sowie zuverlässige Zeichnungsprozesse sein. Als Anleiheinvestoren entfalten wir uns in Märkten wie diesen. Dennoch ist uns bewusst, dass die Tiefststände vielleicht noch nicht hinter uns liegen – und dass die Volatilität mit ziemlicher Sicherheit noch nicht vorüber ist.
Sektoren im Fokus: Finanzwirtschaft und Energie
Der Finanz- und Energiesektor sind gute Indikatoren für den künftigen Zustand der Anleihemärkte. In diesem Kontext sehen wir gute Anlagechancen bei Finanztiteln, die etwa 30% unseres Gesamtengagements über Investment-Grade-Indizes ausmachen. Die Märkte scheinen allerdings die starke Kapitalposition oder Bilanzstärke vieler Banken sowie die Unterstützung, die sie erhalten haben, noch nicht berücksichtig zu haben. Wir bevorzugen nationale Banken-Champions, da sie in der Regel den Übertragungsmechanismus für Konjunkturimpulse darstellen.
Doch wir sehen auch, dass sich die Asset-Qualität der Banken im letzten Quartal verschlechtert hat. So wurden Banken gezwungen, ihre revolvierenden Kreditlinien (RCFs) in Anspruch zu nehmen. Dies bedeutet, dass ihre Bilanzen zu einer Zeit gestiegen sind, als sie es vielleicht vorgezogen hätten, ihre Kreditvergabedisziplin zu verschärfen.
Eine positive Einschätzung der Anleiheinstrumente der Banken bedeutet jedoch nicht, dass die Aktienbewertungen attraktiv sind. Während den europäischen Banken die Ausschüttung von Dividenden untersagt wurde, äußerte sich der Vorsitzende des Aufsichtsrates der Europäischen Zentralbank, dass es „keine Pläne“ gebe, die Banken anzuweisen, die Zinszahlungen für Schuldtitel wie nachrangige AT1- und AT2-Anleihen auszusetzen.
Unterdessen stand der Energiesektor schon unter Druck, noch bevor die OPEC und Russland es versäumten, ein Abkommen über Lieferkürzungen zu erzielen. Dies wirkte sich katastrophal auf die Ölpreise aus und traf vor allem die nordamerikanischen Produzenten und ihre Zulieferer. Im April einigten sich die betroffenen Mitglieder darauf, die Exporte um 9,7 Mio. Barrel pro Tag zu kürzen, obwohl dies wahrscheinlich nicht ausreichen dürfte, um die Preise zu stabilisieren.
Derzeit besteht ein erhebliches Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage, das noch mehrere Quartale anhalten dürfte. Nordamerikanische Produzenten mit schwacher Liquidität und schwachen Bilanzen können jetzt nur noch auf direkte staatliche Unterstützung hoffen. Konkurse innerhalb des Sektors haben bereits begonnen und wir rechnen unabhängig von einer weiteren Erholung der Märkte mit einer stetigen Zunahme.
Dies dürfte erhebliche Auswirkungen auf die Anleihemärkte haben. Energieunternehmen machen zehn Prozent des US-Hochzinsmarktes aus: Ein Anteil, der noch steigen wird, wenn sogenannte Fallen Angels – also Anleihen, die vom Investment-Grade-Status herabgestuft wurden – in den Index aufgenommen sein werden.
Auf der Suche nach Chancen inmitten des Sturms
Wir sehen uns mit differenzierteren und eigenwilligen Berichten zu Sektoren, geographischen Gebieten sowie Unterklassen von Vermögenswerten konfrontiert: Diese bieten einen unglaublich fruchtbaren Boden für unsere Teams Anleihe- und Private Debt-Teams.
Zweifellos werden wir in den kommenden Monaten eine höhere Volatilität erleben werden – sowohl oberhalb als auch unterhalb der Oberfläche. Es besteht derzeit eine beträchtliche Notlage an den Märkten durch Rating-Herabstufungen und steigende Ausfallzahlen. Wir rechnen jedoch wieder mit einem Kreditzyklus – auch wenn er noch so klein ist – und die Märkte dürften sich dabei wieder bereinigen.
Dies ist ein Grund dafür, dass eine symmetrische Erholung, wie wir sie nach dem Ausverkauf im vierten Quartal 2018 erlebt haben, unwahrscheinlich ist. Unternehmen mit weniger fremdfinanzierten Bilanzen sind auf längere Sicht vermutlich nicht so betroffen: in einigen Sektoren könnten selbst die defensivsten Emittenten ohne externe Unterstützung ausfallen.
Dies ist kein Umfeld für günstige Kaufgelegenheiten, etwa klassisch bei Kursrücksetzern – und die Anleiheanalyse dürfte noch mehr Bedeutung erhalten.
Zentralbanken und Regierungen kämpfen gegen die Turbulenzen an den Märkten. Niemand sollte sich über das Ausmaß ihres geldpolitischen Handelns Illusionen machen. Dieses ging mit einer monumentalen fiskalischen Reaktion einher, die Lohnsubventionen, Steuererleichterungen, Zuschüsse, Darlehen, Rettungspakete und allgemeines Einkommen umfasst. Nach diesen Ankündigungen gab es Phasen, in denen die Märkte beispiellosen Schwankungen unterworfen waren, die mir den Atem verschlagen haben.
Es stellt sich nun die Frage nach dem moralischen Risiko der Zentralbank-Entscheidungen und ob diese zu längerfristigen Problemen führen könnten. Diese Aspekte sind zwar berechtigt, jedoch war in diesem Fall schnelles Handeln erforderlich. Außerdem werden den Zentralbanken keine präzisen Instrumente an die Hand gegeben, mit denen sie arbeiten können. Anders gesagt: Sie nutzen einen Vorschlaghammer, um eine Nuss zu knacken.
Auch wenn einige zu dem Schluss kommen mögen, dass die Intervention der Zentralbanken unzureichend oder sogar kontraproduktiv war, ist es ihnen gelungen, die Märkte zu stabilisieren. Das bedeutet hoffentlich, dass die unter der Oberfläche liegenden Übertragungsmechanismen die Unterstützung erleichtern können, die einzelne Akteure und Unternehmen benötigen.
Vermutlich werden uns die quantitative Lockerung sowie eine Null-Zinspolitik noch lange Zeit begleiten. Es fragt sich, ob den Zentralbank-Oberen irgendwann überhaupt noch die „Kleider am Leib“ bleiben. Die Beantwortung dieses Aspektes sowie soziale Fragen, wie wir viele Menschen in unseren Gesellschaften zu Beginn der Krise behandelt haben, ist jedoch für einen späteren Zeitpunkt vorgesehen.
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*) Andrew Jackson ist Head of Fixed Income und Portfoliomanager bei Federated Hermes.