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Kommentar: Greenwashing-Vorwürfe verzerren das Bild

Eine neue Studie des Vermögensverwalters Quilter hat ergeben, dass 44% der Investoren fürchten, dass ihre ESG-Investments ihr Versprechen nicht halten. Überdies reißen die Schlagzeilen zu Greenwashing-Vorwürfen nicht ab, unter anderem weil einige Unternehmen zu untypischen Mitteln greifen, um Projekte „grün“ wirken zu lassen.

Andreas Hecker

Eine logische Folge dessen ist, dass Greenwashing ein präsentes Thema und zudem zweifellos ein Verhalten ist, das bestraft werden sollte.

Allerdings bereitet das Thema Greenwashing den Anlegern mehr Sorge als es sollte, und es scheint sich der Verdacht zu verbreiten, dass diese Praxis so verbreitet ist, dass man quasi gar nicht gezielt nachhaltig investieren kann – ein Umstand, der auf lange Sicht mehr Schaden anrichtet als das Greenwashing selbst.

Denn dies könnte dazu führen, dass sich das Misstrauen der Anleger in verringerten Mittelzuflüssen widerspiegelt, wodurch die Bemühungen um CO2-Neutralität bis 2050 zunichtegemacht würden.

Eine grundlegende Problemstellung dieser Thematik ist, dass es keine allgemein gültige Definition für ESG gibt und es zudem an einheitlichen Standards mangelt. Das Ergebnis ist, dass Unternehmen wie Tesla von manchen Rating-Anbietern hohe ESG-Scores erhalten und von anderen niedrige. Das hat auch Auswirkungen auf die Zusammensetzung der ESG-Indizes. Denn diese enthalten häufig Unternehmen, die auf den ersten Blick wenig nachhaltig erscheinen.

Ist beispielsweise die Aufnahme eines Ölkonzerns in einen ESG-Index mit einem nachhaltigen Mandat vereinbar? Bei solchen Fragen gehen die Meinungen auseinander. Einige würden das ablehnen, darunter Fondsmanager mit expliziten Ausschlusskriterien. Andere würden sagen, dass die großen Ölkonzerne wichtig für die Energiewende sind.

Die finale Entscheidung und Umsetzung der Mandate und Fonds liegt jedoch bei den Vermögenseigentümern und Asset Managern. Doch, wie bereits im Beispiel der Ölkonzerne, ist diese Entscheidung oft nicht leicht. Nuklearwaffen aus einem Portfolio auszuschließen ist einfach, aber wie sieht es mit Flugzeugherstellern aus, deren Tochtergesellschaften Raketen produzieren, die Nuklearsprengsätze transportieren? Sie stellen aber auch Passagierflugzeuge her. Sollte man diese Unternehmen ausschließen? Was ist mit den Fluggesellschaften, die diese Flugzeuge fliegen?

Wie auch immer die persönliche Entscheidung letztlich ausfällt, wichtig ist vor allem eines: Die Asset Manager müssen einen klaren Ansatz haben und diesen konsequent verfolgen. Um sich von vorneherein gegen Greenwashing-Vorwürfe abzusichern ist es wichtig, umzusetzen, womit sie werben und das tun, wozu sie sich öffentlich bekennen.

Für Unternehmen gilt dasselbe. Nicht zuletzt durch die jüngsten Greenwashing-Debatten wurden Firmen in den Fokus gerückt, die sich Umweltfreundlichkeit auf die Fahne schreiben, dabei aber unbequeme Tatsachen unter den Tisch fallen lassen. Doch lässt sich ein solches Vorgehen nicht lange geheim halten, da die Medien ein Auge auf die Unternehmen haben und unehrliches Verhalten aufdecken.

Dieses Vorgehen scheint zu funktionieren, da Unternehmen auf die Anschuldigungen seitens der Medien häufig mit neuen, nachhaltigen Prozessen, Richtlinien und Kontrollen reagieren, um ihre Reputation zu schützen. Und trotz alledem sollte nicht davon ausgegangen werden, dass die Bemühungen, unserer Welt grüner zu machen, zum Scheitern verurteilt sind – egal, wie bekannt einzelne Heuchler mit schlechten Praktiken auch sein mögen. Denn auch die Politik bringt Regulierungen auf den Weg, die Unternehmen und Fondsmanager auf einen besseren und nachhaltigeren Weg lenken sollen.

Es liegt auf der Hand, wie wenig hilfreich es ist, dass es noch immer keine einheitlichen Definitionen gibt, aber es zeichnen sich Fortschritte ab. Beispielsweise hat die EU eine Definition des Begriffs Greenwashing festgelegt: „Unternehmen, die einen falschen Eindruck von ihren (positiven) Umweltauswirkungen vermitteln“. Auch die im März 2021 in Kraft getretene EU-Offenlegungsverordnung für Finanzunternehmen (SFDR) fördert durch strenge und standardisierte Offenlegungspflichten die Transparenz in Sachen ESG-Investments. Alle Unternehmen, die ihre Anlageprodukte als nachhaltige Investments vermarkten wollen, müssen diesen Offenlegungspflichten nachkommen. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass alle, die diese Vorgaben nicht erfüllen, als „nicht nachhaltig“ gelten.

Das ist gut. Nach Analysen von Morningstar hat sich die Zahl der europäischen Fonds mit Nachhaltigkeitsanspruch von gut 2.000 im Jahr 2017 auf etwa 3.500 im letzten Jahr erhöht, und dabei sind neue Produkte mit Nachhaltigkeits-Label nicht mitgezählt. Künftig wird die SFDR Fondsinvestoren helfen, fundiertere Entscheidungen zu treffen.

Nichtsdestotrotz müssen auch die Asset Manager selbst mehr Verantwortung übernehmen. Die Finanzbranche sollte noch mehr Emittenten anhalten, sich nach Kräften zu bemühen, ihre Unternehmen und ihr Vermögen grüner zu machen. Wenn sie das nicht tun oder nicht zeigen können, inwieweit sie es tun, sollten wir zu einem strengeren Engagement übergehen, unser Abstimmungsverhalten entsprechend anpassen und falls nötig von Investitionen in solche Unternehmen absehen.

Diese Neuerungen und Standardisierungen werden Fortschritt in verschiedenen Anlageklassen voranbringen. Gerade für Grüne Anleihen (Green Bonds) erwarten wir klare Fortschritte. In den letzten Jahren ist ihr Anteil an nachhaltigen Portfolios stark gestiegen, aber auch für sie gibt es nicht immer klare Definitionen und einheitliche Standards.

Erst kürzlich haben wir uns gegen die Beteiligung an zwei Emissionen entschieden, weil die Emittenten sich nicht verpflichtet hatten, über die positiven Auswirkungen der Projekte zu berichten, die mit den Anleihen finanziert werden sollen. Hier, sowie beim Impact Investing im Allgemeinen, erwarten wir Fortschritte in Bezug auf Standards und Messbarkeit.

Die Möglichkeit für eine objektive Messung der Erfolge von ESG-Investmentstrategien ist also dringend notwendig. Durch den Ausbau einer harten Datengrundlage ist es möglich, von der subjektiven Perspektive abzurücken und festzustellen, ob eine Strategie optimal auf ihr Ziel ausgerichtet war und zu dessen Erreichung beigetragen hat. Greenwashing oder Impact Washing können so umgehend identifiziert werden.

Auch die Beurteilung von ESG-Ratings dürfte davon profitieren und auf eine Standardisierung zusteuern. Sie könnten ebenso standardisiert werden wie Kreditratings. Bei Unternehmensanleihen diskutiert niemand darüber, ob ein Papier einen High Yield- oder Investmentgrade-Status hat. Die etablierten Strukturen bieten einen Beurteilungsrahmen, an den sich die Marktteilnehmer halten.

Diese Fortschritte könnten sich auch im Bereich der ESG-Anleihen bemerkbar machen. Die Daten werden zahlreicher und besser – und die Investoren orientieren sich an wenigen ausgewählten Anbietern. Dieser Entwicklungsschritt liegt jedoch noch in der Zukunft, gerade weil sich die Daten und die Faktoren weiterentwickeln, die Ratinganbieter versuchen, zu beurteilen – vom CO2-Fußabdruck über Biodiversität bis zur Orientierung am Pariser Klimaabkommen. Dennoch werden aus einer soliden Datengrundlage bessere Ratings erstellbar sein. Wissen ist Macht und die Investoren werden sich durch die zuverlässige Datenanalyse sicherer in ihren Entscheidungen fühlen. Potenzielle Möglichkeiten für Greenwashing werden dabei weiter ausgemerzt.

All dies braucht Zeit, aber die Finanzbranche ist auf einem guten Weg. Greenwashing wird irgendwann reguliert und so stark kontrolliert werden können, dass es überhaupt keine Rolle mehr spielt.

Angesichts der Probleme, die echte ESG- und Impact-Strategien zu lösen versuchen, dürfen wir nicht zulassen, dass die Angst vor Greenwashing die dringend notwendigen Fortschritte behindert. Das große Ziel der CO2-Neutralität ist immens wichtig, und wir dürfen nicht riskieren, zu spät dort anzukommen.

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*) Andreas Hecker, Head of Client Group Core, Germany & Austria, AXA Investment Managers