Es gab 2022 also einige Anzeichen dafür, dass der Kryptomarkt erwachsen wird und die Akzeptanz in der Finanzbranche weiter voranschreitet – dazu trug auch die Krypto-Regulierung „Markets in Crypto Assets“ (MiCA) bei. MiCA soll Anfang 2023 in Kraft treten – wird nach einer Übergangsphase aber erst ab 2024 greifen – und für mehr Anlegerschutz sorgen: Demnach sollen künftig nur in der EU noch von einer nationalen Finanzaufsichtsbehörde lizenzierte Anbieter im Kryptomarkt agieren dürfen.
Die Europäer nehmen hierbei weltweit eine Vorreiterrolle ein. Die EU-Kommission will mit einem harmonisierten europäischen Regulierungsrahmen für Kryptowerte Innovationen fördern und die Nutzung des Potenzials von Kryptowerten „unter Wahrung der Finanzstabilität und des Anlegerschutzes“ ermöglichen. Der Regulator in den USA steht der Kryptowelt hingegen nach wie vor skeptisch gegenüber. SEC-Chef Gary Gensler gilt gleichermaßen als Kenner in Sachen Kryptoanlagen und Skeptiker hinsichtlich der Vertrauenswürdigkeit vieler Anbieter, insbesondere im Segment des Krypto-Lendings.
Darunter leidet auch das Angebot im regulierten Kapitalmarkt. So warten noch zahlreiche Krypto-ETFs auf den Zulassungsbescheid der US-Börsenaufsicht, darunter auch der weltweit größte BTC-Fonds von Grayscale, der in ein Spot-ETF umgewandelt werden soll. Im Sekundärmarkthandel wurden Anteile des Milliarden US-Dollar schweren Trust mit einem Discount von 50% gehandelt, weil der Grayscale Trust sein Fondsvolumen nicht liquide anpassen kann und verunsicherte Anleger trotzdem verkaufen. In Europa haben Investoren hingegen die Wahl zwischen über 80 ETPs auf Kryptowährungen, die meisten davon mit physischer Hinterlegung. Diese regulierten, ETF-ähnlichen Produkte erleichtern privaten wie professionellen Anlegern den Einstieg in die Assetklasse.
FTX-Pleite sorgt für „Lehman-Moment“
Ende 2022 beherrschten jedoch negative Schlagzeilen das Kryptouniversum und überschatteten die Jahresbilanz. Der Skandal um die unregulierte Handelsplattform FTX und ihren Gründer Sam Bankman-Fried hat den Sektor kräftig durchgeschüttelt und weitere Pleiten nach sich gezogen.
Wahrscheinlich gab es noch kein einzelnes Krypto-Ereignis, was den digitalen Währungen so sehr geschadet, so viele Milliarden US-Dollar und noch mehr Vertrauen gekostet hat – just nachdem einige Kryptowährungen nach längerer Durststrecke wieder auf Erholungskurs zurückgeschwenkt waren. Selbst ein guter Teil der Kursverluste bei Bitcoin, Ethereum und Co. kann sich auf die Causa FTX zurückführen lassen. FTX dürfte der größte Skandal der noch jungen Branche sein und wird bereits als „Lehman-Moment“ der Industrie bezeichnet.
Und FTX war nur das i-Tüpfelchen. Vor der FTX-Pleite waren im vergangenen Jahr bei Attacken auf das Poly und das Ronin-Netzwerk über 1,2 Mrd. US-Dollar in Kryptos erbeutet worden. Zuletzt war Binance, die zweitgrößte Kryptobörse der Welt, Opfer eines spektakulären Hacks mit Vermögensschäden im dreistelligen Millionen-Dollar-Bereich geworden. Hacker-Angriffe und Betrugsfälle sind so für die Branche zu einem echten Vertrauensproblem geworden.
Frühlingsboten im Krypto-Winter
Wie sind die Aussichten für den Markt digitaler Geldanlagen – war 2022 eine notwendige Kur, die zur weiteren Professionalisierung des Sektors erforderlich war und ist ein Ende des Kryptowinters in Sicht? Und wie steht es um das Anlegervertrauen nach einer Achterbahnfahrt im Depot?
Ein derartiges Durchschütteln, wie es im letzten Jahr zu erleben war, kann auch zu einer Gesundung führen. Denn Fakt ist: Kryptos sind 2022 in der etablierten Finanzwelt allgegenwärtig geworden und für immer mehr Investoren eine ernstzunehmende Assetklasse. Und die dezentralen Blockchains von Bitcoin und Ethereum laufen trotz aller Turbulenzen von Marktteilnehmern einfach weiter.
BNY Mellon, Amerikas älteste Bank und die weltweit größte Depotbank, bietet seit Anfang Oktober seine Custodian-Dienste auch für Bitcoin und Ethereum an. Die Mitte Oktober veröffentlichte Mitteilung der BNY Mellon dürfte damit eine der wichtigsten Neuigkeiten für den Kryptosektor des Jahres 2022 gewesen sein: Kunden von BNY Mellon können nun auch die digitalen Vermögenswerte Bitcoin (BTC) und Ethereum (ETH) bei BNY Mellon verwahren, verwalten und transferieren lassen, so wie Fondsmanager es für traditionelle Vermögenswerte in Anspruch nehmen.
BNY Mellon steht mit ihrem Schritt übrigens nicht alleine da. Euroclear, die globale Nummer Drei im Markt der Wertpapierverwahrer, gab bereits im März bekannt, dass sie im Verbund mit anderen Banken ein tokenisiertes Zahlungssystem für Vermögenswerte aufbauen will.
Die Möglichkeit, Assets bei einem etablierten Custodian verwahren zu können, ist für viele Asset Manager eine Grundvoraussetzung für den Einstieg in das Segment.
Institutionelle Anleger können diese Hürde auch auf einem anderen Weg bewältigen, nämlich durch ein Investment in börsennotierte Cryptocurrencies (ETCs), die von einer Handvoll Anbietern auch als deutsche Wertpapiere mit physischer Hinterlegung angeboten werden und damit nur ein geringes Emittentenrisiko in sich bergen. Diese Produktkategorie ist dem in dem USA herbeigesehnten Bitcoin-ETF sehr ähnlich und hat sich in Europa etabliert.
Der Kreditkartenriese Mastercard wiederum stieg ebenso als Dienstleister in den Kryptohandel ein wie so manche lokale Volksbank in Deutschland. Der weltweit größte Vermögensverwalter Blackrock kündigte die Auflage eines ersten Privatfonds für Bitcoin an und der notorische Krypto-Skeptiker JPMorgan hat als erstes traditionelles Finanzinstitut in einem Pilotpojekt eine Dezentrale Finanztransaktion (DeFi) auf einer öffentlichen Blockchain ausgeführt.
Für die Tauglichkeit von Kryptowährungen spricht nicht zuletzt auch die Tatsache, dass Indexriesen wie MSCI und FTSE mit Indizes für Digital Assets 2022 auf den Markt kamen.
Wichtige Weichenstellung des FASB
Eine wichtige Weichenstellung gab es ebenso hinsichtlich der Bewertung digitaler Vermögen für US-Unternehmen: Das Financial Accounting Standards Board (FASB) hat sich darauf geeinigt, den Zeitwert zur primären Bilanzierungsmethode für Krypto-Assets zu machen. Bislang galt hier die Regel: Buchwert gleich Einstandswert abzüglich Wertberichtigungen. Wenn der Bitcoin-Kurs fiel, musste der Wert herabgesetzt werden. Kursanstiege konnten im Gegenzug aber nicht in der Bilanz abgebildet werden.
Was bewegt Anleger überhaupt, die Risiken eines Investments in der noch immer frühen Phase des Marktes auf sich zu nehmen? Zwar sind die Kryptos nach wie vor durch starke Wertschwankungen gekennzeichnet, dafür weisen sie eine geringe Korrelation mit der Wertentwicklung anderer Assetklassen auf – so kann durch Verteilung auf mehrere Assetklassen das Risiko des Gesamtportfolios ausbalanciert werden. Der Bitcoin als größte Kryptowährung der Welt hat beispielsweise eine Korrelation von 0,36 zum MSCI World und auch zum Technologieindex Nasdaq, wie eine Analyse über einen Zeitraum von drei Jahren zeigt. Beispielhaft dafür war 2022 der turbulente Börsenmonat September, als der Nasdaq 100 eine volatile Entwicklung zeigte und rund 9 Prozent an Wert verlor. Der Bitcoin handelte in dieser Zeit recht stabil im Bereich zwischen 19.000 und 20.000 US-Dollar. Die Vorstellung, dass Kryptos nur ein Anhängsel der Tech-Indizes sind, lässt sich somit nicht aufrechterhalten. So war es besonders interessant zu beobachten, wie globale Finanzriesen ihr Krypto-Engagement inmitten des letzten Krypto-Dips im Sommer 2022 verdoppelten.
Nach jedem Winter kommt bekanntlich ein Frühling und so blicken viele Anleger offenbar optimistisch ins Jahr 2023. Eine aktuelle Umfrage der KPMG unter privaten Anlegern hat ergeben: Bei über 2.000 befragten privaten Kryptoinvestoren der DACH-Region wollen acht von zehn der Assetklasse treu blieben. Damit das Vertrauen gerechtfertigt wird, muss die Kryptowelt erwachsen werden. Der Weg zur Reife führt wie immer über eine Lernkurve – die auch schmerzhaft sein kann, wie das vergangene Jahr zeigte. 2022 aber wurden auch viele wichtige Weichen gestellt, die den dynamischen Zug in die richtige Richtung lenken sollen. Je schneller der Markt erwachsen wird, desto besser für die Branche und die Anleger.
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*) Jan Altmann, Director Investment Strategy, ETC Group