Ermutigt durch die jüngsten Konjunkturdaten, die darauf hindeuten, dass die Inflation im kommenden Jahr ihr Ziel von 2% nachhaltig erreichen könnte, senkte die Europäische Zentralbank (EZB) den Einlagenzins um 25 Basispunkte auf 3,50%, verzichtete jedoch auf klare Hinweise zur künftigen Zinsentwicklung.
Die Zinssenkung im September, die zweite in diesem Jahr nach der ersten im Juni, bestätigt die Prognose der EZB, wonach sie das Inflationsziel bis zum vierten Quartal 2025 erreichen will.
Wir glauben, dass die EZB es nicht eilig hat, die Zinsen zu senken. Allerdings will sie die Leitzinsen angesichts des schwachen Wachstums auch nicht zu lange zu hoch halten. Angesichts der nach wie vor hohen Binneninflation (was vor allem auf den anhaltenden Preisdruck im Dienstleistungssektor zurückzuführen ist) wird die Geldpolitik restriktiv bleiben müssen. Die EZB bekräftigte, dass Entscheidungen von Sitzung zu Sitzung getroffen werden, wobei die Daten in den kommenden Monaten über das Tempo der etwaigen Zinsschritte entscheiden werden.
Wir rechnen im aktuellen Zyklus mit einer dritten Zinssenkung im Dezember, wobei die Marktbewertungen auf einen Endzinssatz von etwa 1,9% bis Ende 2025 hindeuten, was die allmählich nachlassenden Inflationssorgen auf der „letzten Meile“ widerspiegelt. Wir gehen davon aus, dass der EZB-Rat im kommenden Jahr, wenn der Leitzins unter 3% fällt, eine angemessene Konfiguration für den neutralen Leitzins erörtern wird.
Entgegen unserer Einschätzung zu Beginn dieses Jahres stimmen wir nun weitgehend mit den Marktbewertungen überein und sehen für die europäische Duration mit Ausnahme eines rezessiven Umfelds nur begrenztes Aufwärtspotenzial, sodass unsere Haltung weitgehend neutral ist. Was die Zinskurve betrifft, so erwarten wir weiterhin, dass das lange Ende der Kurve aufgrund der schrittweisen Zinssenkungen und des Wiederaufbaus von Laufzeitprämien schlechter abschneiden wird als kürzere Laufzeiten.
Neue EZB-Prognosen deuten darauf hin, dass der Inflationsrückgang auf Kurs bleibt
Damit sich die Inflation im Einklang mit den Erwartungen der EZB entwickelt und sich dauerhaft dem Zielwert für das Jahr 2025 annähert, wird eine Verlangsamung der Lohnstückkosten auf 2% entscheidend sein, angetrieben durch Lohn- und Produktivitätswachstum. Der Lohnzuwachs fiel geringer aus als erwartet. Und die zukunftsgerichteten Lohnindikatoren der EZB signalisieren weiterhin eine deutliche Verlangsamung im Jahr 2025. Die Produktivität ist zwar nach wie vor schwach, entwickelt sich aber weitgehend im Rahmen der Erwartungen.
Der vierteljährliche Lohnindex der EZB zeigt, dass sich die Lohninflation im Jahresvergleich von 4,7% im ersten Quartal auf 3,6% im zweiten Quartal abgeschwächt hat. Ebenso lag der Zuwachs bei der Vergütung je Mitarbeiter im zweiten Quartal bei 4,3% gegenüber dem Vorjahr, nach noch 4,8% im ersten Quartal. Was die Produktivität anbelangt, so deuten die Daten für das zweite Quartal darauf hin, dass die Arbeitsproduktivität pro Kopf im Vergleich zum Vorjahr um 0,3% gesunken ist, was den makroökonomischen Erwartungen der EZB-Experten vom Juni entspricht. Nach derzeitigem Stand gehen die Projektionen der EZB vom September von einer allmählichen Erholung der Produktivität auf etwa 1,0% im Lauf der Zeit und einem Rückgang der Wachstumsrate bei der Vergütung pro Arbeitnehmer von 5,3% im Jahr 2023 auf 4,5% im Jahr 2024, auf 3,6% im Jahr 2025 und auf 3,2% im Jahr 2026 aus.
Die vorläufige Gesamtinflation sank im August auf 2,2% und lag damit um 0,4 Prozentpunkte niedriger als im Vorjahr, während die Kerninflation im gleichen Zeitraum um 0,1 Prozentpunkte auf 2,8% zurückging. Folgerichtig blieb das Tempo der Kerninflation weitgehend unverändert bei etwa 3% in den letzten drei Monaten, wobei das Thema der schwachen Kernwareninflation und der stärkeren Dienstleistungsinflation weiterhin besteht.
Insgesamt beließ die EZB ihren mittelfristigen Inflationsausblick für die letzten zwei Jahre ihrer dreijährigen Prognose unverändert bei 2,2% für das Jahr 2025 und bei 1,9% für 2026. Weil es nur eine geringe Toleranz für eine Rückkehr der prognostizierten Inflation auf den Zielwert erst im Jahr 2026 gibt, geht die EZB weiterhin von einer Konvergenz im vierten Quartal 2025 aus.
Die starke Senkung des Hauptrefinanzierungssatzes der EZB („MRO rate“) ist von begrenzter Marktrelevanz
Die EZB hat den Zinssatz für die Einlagefazilität als ihr primäres Instrument für die Geldpolitik festgelegt, während der Hauptrefinanzierungssatz (MRO) der Zinssatz ist, den Banken zahlen, wenn sie sich für eine Woche lang Geld von der EZB leihen. Im Einklang mit ihrer Überprüfung des operativen Rahmens im März senkte die EZB den MRO im September von 50 auf 15 Basispunkte über dem Zinssatz der Einlagefazilität auf nun 3,65%. Diese Anpassung zielt darauf ab, die Banken zur Teilnahme an wöchentlichen Geschäften zu ermutigen, sodass sich die kurzfristigen Geldmarktsätze weiterhin näher am Einlagensatz entwickeln.
Die Banken im Euroraum verwenden den MRO der EZB jedoch nicht oft für ihre kurzfristigen Refinanzierungen, da die Liquiditätsbedingungen nach wie vor ausreichend sind und die kurzfristige Refinanzierung durch die EZB erheblich teurer ist als jede andere Form der Finanzierung am Geldmarkt. Wir gehen davon aus, dass dies auch mit dem neuen, günstigeren Zinssatz so bleiben wird.
Daher erwarten wir, dass es nicht zu einer breit angelegten Teilnahme an den Zeichnungsangeboten der EZB kommen wird, solange die überschüssige Liquidität der Banken nicht unter eine bestimmte Schwelle fällt. Erst dann würden die EZB-Geschäfte attraktiver werden als andere Optionen am Markt. Angesichts der Prognosen für die mittelfristige Überschussliquidität wird dieser Wendepunkt wahrscheinlich nicht vor 2027 erreicht werden.
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*) Konstantin Veit, Leiter European Rates- und Short-Term Desks bei PIMCO