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Kommentar: EZB - nächster Halt September

Obwohl die Europäische Zentralbank (EZB) die Leitzinsen auf ihrer jüngsten Sitzung unverändert lies, dürfte die nächste Zinssenkung bald anstehen.

Konstantin Veit

Die geldpolitischen Sitzungen der EZB im Juli verlaufen in der Regel ereignislos. Auch dieses Jahr stellte dahingehend keine Ausnahme dar. Der EZB-Rat beließ den Leitzins für die Einlagefazilität unverändert bei 3,75% und gab kaum Hinweise zur künftigen Ausrichtung der Geldpolitik.

Laut der jüngsten Rede von Präsidentin Christine Lagarde in Sintra erlaubt der starke Arbeitsmarkt der EZB, sich Zeit zu nehmen, um neue Daten zu sammeln. Folglich hat es die EZB nicht eilig, die Zinsen weiter zu senken. Entscheidungen werden weiterhin von Sitzung zu Sitzung getroffen, wobei der Datenfluss in den kommenden Monaten darüber entscheiden wird, wie schnell die EZB zusätzliche Restriktionen zurücknimmt.

Die EZB richtet ihre Entscheidungen nach dem Inflationsausblick, der zugrunde liegenden Inflationsdynamik und der geldpolitischen Transmission aus. Vor diesem Hintergrund erwarten wir, dass sie die Zinsen auf den Sitzungen mit neuen Projektionen weiter senken wird. Daher rechnen wir mit einer nächsten Zinssenkung im September. Der Markt preist derzeit weitere Zinssenkungen von insgesamt 45 Basispunkten in diesem Jahr ein, was weitgehend mit unserer seit langem bestehenden Basisannahme von drei Zinssenkungen für das Jahr 2024 übereinstimmt. Allerdings deutet der erwartete Endzins von etwa 2,5% – deutlich über den Schätzungen für einen neutralen Leitzins im Euroraum – darauf hin, dass man sich vor einer hartnäckigen Inflation in der letzten Phase der Bekämpfung sorgt.

Vor diesem Hintergrund positionieren wir uns aufgrund der aktuellen Bewertungen in Bezug auf die Duration europäischer Anleihen weitgehend neutral. Wir gehen weiterhin von einem begrenzten Zinskorridor aus und bevorzugen es, bei der Eingehung von Durationsrisiken taktisch vorzugehen. Was unsere Einschätzung der Zinskurve betrifft, favorisieren wir derzeit einen eher strukturellen Ansatz. Wir gehen davon aus, dass das lange Ende der Zinsstrukturkurve im Vergleich zu kürzeren Laufzeiten unterdurchschnittlich abschneiden wird. Diese Annahme basiert darauf, dass die kurzfristigen Zinssätze infolge von Leitzinssenkungen sinken und sich die Laufzeitprämien im Laufe der Zeit allmählich ausweiten werden.

Das Problem: Lohnwachstum unvereinbar mit dem Inflationsziel
Trotz des sich abschwächenden BIP-Wachstums verzeichnet der Euroraum einen Beschäftigungszuwachs. Seit Ende 2022 sind 2,6 Millionen Menschen mehr in Arbeit, die Arbeitslosenquote hat mit 6,4% einen historischen Tiefstand erreicht. Die Stärke des Arbeitsmarktes ist die Folge einer Reihe von Schocks, die den Währungsraum getroffen haben. Aufgrund des Arbeitskräftemangels halten Unternehmen an ihren Beschäftigten fest, was durch höhere Gewinne und niedrigere Reallöhne zusätzlich erleichtert wird.

Die wichtigste Voraussetzung dafür, dass sich die Inflation im Einklang mit den Erwartungen der EZB entwickelt und sich dauerhaft dem Zielwert im Jahr 2025 annähert, ist ein Rückgang der Lohnstückkosten. Diese müssen auf ein Niveau sinken, das weitgehend mit einer Inflation von 2% vereinbar ist.

Derzeit ist das Lohnwachstum jedoch nach wie vor hoch, was auf die anhaltende Anpassung an den vergangenen Inflationsschub zurückzuführen ist. Die Tariflöhne stiegen im ersten Quartal 2024 auf 4,7% - 0,2 Prozentpunkte mehr als im letzten Quartal 2023. Zu diesem stärkeren Wachstum im ersten Quartal trugen allerdings auch sehr hohe Einmalzahlungen im deutschen öffentlichen Sektor bei. Zukunftsgerichtete Lohnindikatoren und -Umfragen der EZB signalisieren, dass die Lohndynamik im Jahr 2024 zwar robust bleiben, sich aber im Jahr 2025 voraussichtlich abschwächen wird.

Die von Experten des Eurosystems erstellten gesamtwirtschaftlichen Projektionen vom Juni 2024 prognostizieren einen Rückgang des Wachstums der Vergütung je Beschäftigten von 5,2% im Jahr 2023 auf 4,8% im Jahr 2024. Für 2025 wird ein Rückgang auf 3,5% und für 2026 auf 3,2% erwartet. Die derzeitige Dienstleistungsinflation von 4,1%, die durch das starke Lohnwachstum angetrieben wird, macht eine restriktive Geldpolitik mit ziemlicher Sicherheit noch für einige Zeit erforderlich.

Insgesamt geht die EZB davon aus, dass das Lohnwachstum im Jahr 2024 ein Haupttreiber der Inflation sein wird, auch wenn die Nettoauswirkungen der Arbeitskostensteigerungen auf die Preise durch geringere Unternehmensgewinne abgefedert werden. Das Narrativ einer allmählichen Abschwächung des binnenwirtschaftlichen Preisdrucks wird aufrechterhalten. Es stützt sich auf kontinuierlich sinkende Gewinne und einen anhaltenden Rückgang der Lohnstückkosten, wozu die Produktivitätssteigerungen im Zuge des Wirtschaftswachstums zusätzlich beitragen.

Die Unsicherheit in Bezug auf dieses Narrativ ist jedoch nach wie vor groß. So könnten die Unternehmen mit der wirtschaftlichen Erholung ihre Preissetzungsmacht zurückgewinnen, und Produktivitätsverluste europäischer Unternehmen könnten sich als hartnäckiger erweisen als erwartet.

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*) Konstantin Veit, Portfoliomanager und Leiter der European Rates- und Short-Term Desks, PIMCO