Innerhalb des Marktes für Unternehmenskredite mit einem Rating unterhalb von Investment Grade dominiert der reifere US-Markt mit einem Volumen von 3,5 Billionen US-Dollar. Er ist somit dreimal so groß ist wie der europäische Markt². Der Markt für Private Credit insgesamt ist in den USA allerdings lediglich doppelt so groß³.
Interessanterweise könnte sich der gesamte Markt für Private Credit innerhalb der nächsten fünf Jahre fast verdoppeln, wobei Europa relativ gesehen schneller wachsen könnte als die USA.
Unserer Meinung nach wird das Wachstum in Europa stark von einer Angleichung der Finanzierungsquellen in Europa und den USA angetrieben. Im US-Markt werden fast 80% der Kredite über die Kapitalmärkte vergeben – in Europa sind es nur 30%⁴. Mit zunehmender Reife des europäischen Marktes wird sich diese Lücke unserer Ansicht nach schließen, wobei die Kapitalmärkte (inkl. Private Credit) einen immer größeren Anteil an der Kreditvergabe haben werden.
Der europäische Markt mag in Hinblick auf Größe und Wettbewerbsintensität, gemessen an der Anzahl der Anbieter, weniger entwickelt als der US-amerikanische sein. Seine wahrscheinliche Expansion wird jedoch Anlegern, die von diesen Wachstumschancen profitieren wollen, Gelegenheiten bieten. Ein größerer Private-Credit-Markt in Europa bietet insbesondere Asset Managern mit langjähriger Erfahrung und nachweislichem Know-how in den lokalen Rechtsordnungen Anlagechancen.
Europa: Höhere Renditen bei niedrigerem Risiko?
Der US-amerikanische Markt mag weiterentwickelt sein als der europäische, aber dies wirkt sich in der Regel auf die wichtigsten Risiko- und Ertragsmerkmale aus. Da der US-Markt gesättigter ist, ist er auch bei Kreditgebern stärker umkämpft: So gibt es in den USA eine größere Anzahl privater Kreditgeber als in Europa. Diese hohe Wettbewerbsintensität führt in der Regel zu niedrigeren Renditen für die Anleger.
Die niedrigeren Margen in den USA sind mit einem Kreditumfeld verbunden, das im Vergleich zu Europa höhere Risiken aufweist. In jüngster Zeit hat der europäische Markt attraktive Renditen bei gleichzeitig höherer Zinsdeckung und niedrigeren Ausfallquoten geboten. Auch wenn es in letzter Zeit eine gewisse Konvergenz gegeben hat, haben die Unternehmen in Europa in der Vergangenheit tendenziell größere Eigenkapitalpolster.
Was das rechtliche Umfeld betrifft, so ist der europäische Markt zwar grundsätzlich „gläubigerfreundlicher“, weist jedoch unterschiedliche Rechtsprechungen in den verschiedenen Ländern auf. Das macht ihn komplexer als die USA, die mit einer einheitlichen Gesetzgebung punkten.
Begrenzung von Verlusten: Der Wert der Zusammenarbeit
Ein wesentlicher Unterschied zwischen dem europäischen und dem US-amerikanischen Markt für Private Credit sind die verfügbaren Rechtsmittel und die Position der Kreditgeber in den verschiedenen europäischen Rechtsordnungen. Hauptunterschied ist das Vorhandensein eines Konkursverfahrens nach Chapter 11 in den USA, das Unternehmen und in Not geratenen Kreditnehmern einen direkteren und formelleren Weg zur Durchführung von Workouts bietet. In Europa gibt es hingegen viele lokale Restrukturierungs- und Sicherheitsregelungen, die zwar im Großen und Ganzen gläubigerfreundlicher sind als Chapter 11, aber dennoch eine stärkere Zusammenarbeit zwischen allen Parteien in einer Workout-Situation erfordern, um eine Lösung zu finden.
Die Tatsache, dass es diverse Rechtsordnungen gibt, die jeweils in unterschiedlichem Maße gläubigerfreundliche Merkmale aufweisen, macht das Agieren auf dem europäischen Markt komplexer. Diese Vielfalt erfordert von den Kreditgebern oft ein höheres Maß an Fachwissen, so dass die Expertise der Asset Manager eine wichtige Fähigkeit darstellt.
Neu im Markt: Privatanleger in Europa
Privatanleger sind in den USA keine Besonderheit – es mag an der „Etabliertheit“ des Marktes liegen – in Europa fehlen sie weitgehend. Dies ist sowohl positiv als auch negativ. Einerseits vergrößert die Beteiligung von Privatanlegern die Anlegerbasis, andererseits erhöht die Präsenz von Privatanlegern wahrscheinlich die Volatilität von Private Credit in den USA.
Ein wesentlicher Impuls für eine stärkere Beteiligung von Privatanlegern in Europa dürfte das Wachstum der 2015 etablierten European Long Term Investment Funds (ELTIF) sein. Der ELTIF bietet eine einfacher zugängliche und privatkundenfreundliche Struktur, die es Einzelpersonen ermöglicht, von Chancen zu profitieren, die bislang institutionellen Anlegern vorbehalten waren. Privatanleger haben die Möglichkeit, sowohl von der Diversifizierung als auch von attraktiven risikobereinigten Renditen zu profitieren.
Europäische Privatanleger sollten von den Opportunitäten, welche die Private Credit bietet, angezogen werden. Die bereits erwähnte zunehmende Reife des europäischen Marktes, die historisch höheren Renditen, die bessere Kreditqualität und die sich durch anhaltende Zurückhaltung der europäischen Banken bei der Kreditvergabe ergebenden Chance stellen unserer Meinung nach eine äußerst attraktive Anlagemöglichkeit für Privatpersonen dar.
ESG-Integration: Europa als Vorreiter
Europa ist sowohl bei der ESG-Integration als auch bei der Offenlegung deutlich weiter fortgeschritten als die USA. Für Anleger ist dies von Bedeutung, da ESG-Faktoren Risikofaktoren sind. Die Bewertung jedes Risikos, das die Fähigkeit eines Kreditnehmers, seine Schulden zurückzuzahlen, beeinträchtigen könnte, ist von entscheidender Bedeutung. Die mit ESG-Faktoren verbundenen Risiken können finanzieller, reputationsbezogener oder regulatorischer Natur sein. Sie alle können die Kreditqualität und die Fähigkeit eines Unternehmens, seine Schulden zu bedienen oder zurückzuzahlen, beeinträchtigen.
Während die USA bei der Integration von ESG-Faktoren und den Offenlegungsstandards Fortschritte machen, wird Europa wahrscheinlich seinen Vorsprung behalten. Dies ist darauf zurückzuführen, dass es in Europa für Asset Manager einfacher ist, entsprechende Angaben zu machen. Die europäischen Aufsichtsbehörden stellen Asset Managern häufig Vorlagen zur Verfügung, die eine konsistente und solide Darstellung der Daten ermöglichen. Wir sind davon überzeugt, dass die Nachfrage der Anleger nach einem Nachweis der wichtigsten ESG-Performance-Kennzahlen mit überprüfbaren Daten im Laufe der Zeit weiter zunehmen wird. Derzeit ist dies ein entscheidender Wettbewerbsvorteil Europas gegenüber den USA.
Da Europa die ESG-Integration bereits seit längerem verfolgt als die USA, ist der europäische Ansatz weiterentwickelt und belastbarer. Ein Problem, mit dem Anleger in beiden Regionen konfrontiert sind, ist jedoch die Qualität und Zuverlässigkeit der Daten. Dies ist ein immer wiederkehrendes Problem, das viele Manager dazu veranlasst hat, eigene Research-Kapazitäten aufzubauen. Trotzdem wird die Nachfrage der Anleger nach einer gründlicheren ESG-Bewertung und Offenlegung weiter zunehmen.
Private Credit bleibt sowohl auf dem europäischen als auch auf dem US-amerikanischen Markt eine äußerst attraktive Wahl für Anleger. Es gibt jedoch wichtige Merkmale, die diese beiden Regionen voneinander unterscheiden. Der reifere und wettbewerbsintensivere US-Markt mag zwar größer sein, aber es gibt Anhaltspunkte dafür, dass das Risiko höher und die Kreditqualität geringer ist und die Anleger im Vergleich zu Europa wahrscheinlich mit niedrigeren risikobereinigten Renditen rechnen müssen.
Vor diesem Hintergrund sind wir der Ansicht, dass der europäische Private-Credit-Markt mit höheren Renditen bei geringerem Risiko die bevorzugte Wahl der Anleger sein sollte.
¹ M&G Investments, 31. Dezember 2023
² M&G Investments, 31. Dezember 2023
³ Preqin, 31. Dezember 2023
⁴ Oliver Wyman, „Der EU-Bankenregulierungsrahmen, 2023“
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*) Robert Scheer, Direct Lending Director, M&G Investments