IPE D.A.CH: Wie schätzen sie die globalen Makrolage ein?
Polan: Die Situation stellt sich im Moment immer noch relativ schwierig dar. Das liegt zum einen am geopolitischen Risiko, dass die Fed die Zinsen weiter erhöht, den Handelsstreitigkeiten mit China sowie der ungewissen Situation in der Ukraine. Dennoch sehen wir Lichtblicke. Die Inflationsraten erreichen ihren Höhepunkt, es ist ein Ende des Zinserhöhungszyklus in Sicht – auch in den USA. Neue Daten aus Europa zum BIP im dritten Quartal sind im Allgemeinen ein wenig besser als erwartet. So war zum Beispiel das Wachstum in der Eurozone in diesem Quartal positiv. Auch Länder, die noch weiter östlich liegen, wie zum Beispiel Polen zeigen ein Wachstum von 0,9% im Quartalsvergleich, was in einem normalen Jahr, nicht in einem Krisenjahr wie diesem, ein gutes Quartal wäre. Damit wurden einige der Befürchtungen über den tiefen Einbruch in Europa, der sowohl von den Zinserhöhungen als auch von der Energiekrise herrührt, ausgeräumt.
Die Aussichten für Fixed-Income-Anlagen sowie auch für Anlagen außerhalb des US-Dollars sind ebenfalls positiver. Die Wiedereröffnung Chinas könnte sich natürlich positiv auf die Nachfrage nach globalen Rohstoffen auswirken. Für das produzierende Gewerbe sind die Auswirkungen weniger klar. Wenn sich die chinesische Nachfrage erholt, können sich chinesische Hersteller wieder auf den Inlandsmarkt konzentrieren und damit weniger für den Export produzieren. Die Auswirkungen sind also nicht so eindeutig, aber sie sind auf jeden Fall positiv für den Rohstoffsektor. Und das ist positiv für einige der Schwellenländer mit den niedrigsten Einkommen, die Rohstoffe exportieren und besonders mit einem Verschuldungsrisiko zu kämpfen haben, und würde auch einigen Ländern mit mittlerem Einkommen wie Brasilien und Chile helfen, da sie ebenfalls auf Rohstoffexporte angewiesen sind.
Ferner bedeutet es auch, dass die immer noch gut laufende US-Wirtschaft und das sich erholende China besonders positiv für die lateinamerikanischen Volkswirtschaften, aber auch für eine Reihe asiatischer Länder sein können.
IPE D.A.CH: Sie erwähnten die teilweise massiven Zinserhöhungen in zumindest einigen, wenn nicht sogar vielen der Schwellenländer. War es hilfreich, der Fed und insbesondere der EZB hier weit voraus zu sein. Wie sehen Sie diese Situation?
Polan: Besonders Brasilien und Chile haben die Zinsen früh angehoben, sogar zur Überraschung der Märkte. Der brasilianische Real ist bis jetzt eine der Währungen mit der besten Performance gewesen. Höhere Zinssätze helfen auch bei der Inflation, denn sie resultieren in einer niedrigeren Inflation und sorgen für eine gewisse Stabilität auf dem Markt. Der Aufschwung nach der Covid-Erholung, der die Inflation in Lateinamerika anheizte und auf den die Zentralbanken frühzeitig reagierten, war hauptsächlich darauf zurückzuführen, dass sich die Nachfrage sehr stark erholte.
IPE D.A.CH: Wird der US-Dollar auch 2023 noch führend sein? Es scheint, dass der Euro zumindest wieder stabiler ist?
Polan: Ja. Ich denke, dass die Krone des US-Dollars ein wenig abgestoßen wurde. Viele Faktoren, die den US-Dollar stützen, sind aber nach wie vor vorhanden. Die US-Zinsen werden weiterhin höher sein als beispielsweise in Europa oder in vielen anderen Industrieländern. Die EZB der Eurozone wird die Zinsen nicht auf das gleiche Niveau anheben und auch nicht so aggressiv bleiben, so dass dieser Faktor bestehen bleibt. Das Wachstum in den USA wird aufgrund der Energiesicherheit stärker bleiben als in Europa. Diese Faktoren, die für den Dollar sprechen, werden also bestehen bleiben. Aber in der Tat, wenn die Fed ihre Rhetorik ein wenig zurücknimmt und die schlimmsten Befürchtungen bezüglich der Krise in der Eurozone hinter uns liegen, wird das dem Dollar seinen massiven Auftrieb nehmen.
IPE D.A.CH: Welche Länder sehen in diesem Umfeld gut aus, welche nicht?
Polan: Angesichts der Tatsache, dass die Wachstumsaussichten für die USA immer noch besser sind als für die Eurozone, sind Länder, die stärker mit den USA verbunden sind, in einer besseren Position. Dazu gehören auf jeden Fall die Länder in Lateinamerika und Mexiko.
Leider befinden sich die Länder in unserer Region in einer etwas schwierigeren Lage. Dazu kommt, dass wir die Ukraine mittelfristig mit Energie versorgen müssen, und dass, obwohl die Vorräte in den eigenen Ländern bereits begrenzt sind. Das bringt etwa Deutschland in eine schwierige Situation. Zusammengefasst kann man sagen, dass sich diejenigen Länder, die wirtschaftlich nicht an die USA, sowie durch Rohstoffe an China angeschlossen sind, in der schwächeren Position befinden.
IPE D.A.CH: Wie wichtig werden die Rohstoffpreise für die Schwellenländer sein?
Polan: Die Weltwirtschaft verändert sich und die seltenen Erden und Mineralien, die für die Energiewende verwendet werden, werden immer wichtiger. Einige dieser Mineralien befinden sich in einkommensschwachen Ländern in Afrika, aber auch in Europa, zum Beispiel hat Serbien viele Lithiumvorkommen. Der Ölpreis wird dabei das große Unterscheidungsmerkmal bleiben, denn dies ist der am meisten gehandelte Rohstoff, der sich am stärksten auf die Leistungsbilanz auswirkt. So ist es zum Beispiel dieser Rohstoff, der Länder wie die Türkei oder Ungarn in großen Defiziten drängt.
Andererseits werden sowohl Gas und Öl, wobei der Ölmarkt stärker von den Produzenten kontrolliert wird, sowie die anderen Rohstoffe für die Länder mit niedrigem Einkommen sehr positiv sein. Und dieser Zyklus hat natürlich zur Folge, dass sie die Rohstoff-Produkte, die sie bereits hergestellt haben, jetzt exportieren können. Dies wird sich wiederum positiv auf den Investitionszyklus in Rohstoffe und Produktion auswirken. All diese Länder sind Rohstoffproduzenten, und zwar nicht nur von Öl und Gas, sondern auch von Metallen. Das ist wichtig, da China sich wieder öffnet und die Wirtschaftstätigkeit wieder zunimmt, denn diese Rohstoffe sind viel stärker mit dem globalen Zyklus korreliert und weniger reguliert als Öl.
IPE D.A.CH: Was können wir Investoren bis Ende 2023 mit auf den Weg geben? Worauf sollten sie im Jahr 2023 bei Investments achten?
Polan: Bei den Entwicklungsländern handelt sich um eine extrem breit gefächerte Anlageklasse, die von der Tschechischen Republik, die wir immer noch als Schwellenland betrachten, über solch entwickelte Märkte und Produktexporteure wie Polen, Südkorea und Malaysia bis hin zu sehr einkommensschwachen Ländern reicht. Differenzierung ist immer noch ein sehr wichtiger Faktor.
Ein anderer Faktor ist die Makrostruktur der Volkswirtschaften, sowie die makroökonomischen Schwachstellen und Stärken. Fundamentaldaten, internationale Reserven, eine glaubwürdige Politik, eine vernünftige Finanzpolitik sind aktuell wichtig. 2023 wird das Jahr der Differenzierung sein. Und selbst wenn wir eine gute Erholung in der gesamten Anlageklasse und auf allen Märkten sehen, je besser die Fundamentaldaten sind, desto größer ist das Potenzial für individuelle Schwellenländer, sowohl für Aktien als auch für den Fixed-Income-Bereich.
IPE D.A.CH: Vielen Dank für diese Einblicke.