Hedgework: Herr Füllgraf, Ihr Haus hat schon vor Jahren einen Zusammenhang zwischen dem CO2-Fußabdruck von Unternehmen und der Entwicklung des Aktienkurses festgestellt. Worin besteht dieser Zusammenhang und wie wirkt sich das aus?
Füllgraf: Wir haben uns in 2016/2017 zusammen mit dem Climate Solutions Team von ISS ESG, die mittlerweile zur Deutsche Börse-Gruppe gehören, der Frage gewidmet, ob sich der Klimawandel bereits in den Kursen europäischer Aktien widerspiegelt – in der Performance, im Risiko oder in beidem. Dazu haben wir einen Low-Carbon-Faktor entwickelt, der im Wesentlichen auf der Long-Seite Aktien von Unternehmen mit niedrigen CO2-Emissionen hält, und vice versa auf der Short-Seite. Bereits damals konnten wir nachweisen, dass der Klimawandel – oder genauer gesagt: das Transitionsrisiko – Einfluss auf Performance und Risiko europäischer Aktien im Querschnitt hat. Außerdem sind wir im Projekt-Whitepaper von Anfang 2017 schon auf Dinge eingegangen, die sich in der Folge vielfach so eingestellt haben, wie der starke Einfluss der Politik – erinnert sei an Aus- und Wiedereintritt der USA aus dem Pariser Abkommen, EU-Green-Deal, -Taxonomie und -Finanzmarktregulierung –, Momentumeffekte durch Veränderung der Kapitalströme sowie ein fairer CO2-Preis von um die 65 Euro. Der bewegte sich damals übrigens zwischen 5 und 7 Euro und war zwischenzeitlich auf über 100 Euro gestiegen. CO2-Preise sind auch die ökonomische Brücke zwischen dem CO2-Fußabdruck und dem Aktienkurs von Unternehmen, weil sie über Cashflows, Gewinne, Ausschüttungen und Bewertungen indirekt auf die Kurse wirken. Vor diesem Hintergrund haben wir in dem Projekt auch einige Investmentstrategien entwickelt, unter anderem die Climate Smart Long/Short-Strategie.
Hedgework: Lassen sich die Auswirkungen auch anhand von Zahlen belegen – beispielsweise hinsichtlich Performance, Risiko oder Fundamentaldaten?
Füllgraf: Die positive Entwicklung von Low-Carbon-Faktor und Climate Smart Long/Short-Strategie hat sich seit Juni 2017 entlang der gestiegenen CO2-Preise fortgesetzt. Performance ist aber nur eine Seite der Medaille – wenngleich für viele natürlich die Wichtigste. Aber mit im Verlauf mehr Daten haben wir uns immer weiter in das Thema einarbeiten und dabei wichtige Erkenntnisse gewinnen können. Zunächst haben wir versucht, den Low-Carbon-Faktor auch in anderen Regionen wie USA, Japan und Asia Pacific herauszuarbeiten. Dabei haben wir festgestellt, dass das in diesen Regionen keine Performance gebracht hat und der Grund dafür ist relativ naheliegend: die CO2-Preise sind in Europa mit weitem Abstand am höchsten, Regulierungsstandards und Emissionshandel am strengsten – und damit ist auch der Einfluss auf die Unternehmen und deren Aktien vergleichsweise hoch. Ende 2021 haben wir uns dann mit der – auch in der empirischen Kapitalmarktforschung heftig umstrittenen – Frage beschäftigt, ob die Einflüsse eher Cashflows und Gewinne oder eher die Kapitalkosten respektive die Discountfaktoren tangieren. Dabei konnten wir herausarbeiten, dass beide Wirkungskanäle betroffen sind. Aber: Grüne Aktien haben zwar im Schnitt die niedrigeren Kapitalkosten – oder höhere Bewertungen bei Aktien – bessere Gewinne und höhere Profitabilität erklären aber nahezu 100% der Performanceunterschiede zu braunen Aktien in Europa.
Darüber hinaus haben wir uns intensiv mit dem Zusammenhang zwischen CO2-Preisen und der Aktienperformance auseinandergesetzt. Fazit hier: Rein mathematisch erscheint das zunächst unkorreliert, zerlegt man die Verläufe aber in die größeren Aufwärts-, Seitwärts- oder Abwärtsbewegungen, zeigt sich der Zusammenhang recht deutlich. Und das sollte man ökonomisch auch erwarten. Zudem sind die Einflüsse eher non-linear, was unter anderem an den Möglichkeiten der Unternehmen hängt, die höheren Kosten in die Preise zu überwälzen oder sich anzupassen. Lineare Abhängigkeitsmaße wie Korrelationen spiegeln das nur unzureichend wider.
Last but not least haben wir zuletzt zusammen mit einem der großen Index-Vendoren daran gearbeitet, die Erkenntnisse von der Aktienseite auf die Corporate-Bond-Seite zu übertragen. In beiden Fällen handelt es sich ja um Unternehmensrisiken, von daher sollte man grundsätzlich auch Einflüsse in beiden Segmenten erwarten. Das Projekt ist zwar noch nicht zu Ende, bis dato haben wir aber festgestellt, dass Transitionsgewinne in Form von Performance nahezu ausschließlich den Aktionären zugutegekommen sind. Und das sollte man vor dem Hintergrund, dass bessere Gewinne nahezu 100% der Performance des Low-Carbon-Faktors erklären und eher grüne Aktien die niedrigeren Kapitalkosten aufweisen, auch erwarten. Trotzdem kann man sich auf der Corporate-Bond-Seite günstig gegen Transitionsrisiken in der Breite absichern.
Hedgework: Inwieweit können Anleger von Ihren Erkenntnissen in der Praxis profitieren?
Füllgraf: Der naheliegendste Weg ist natürlich durch Investments in unsere Strategie(n). Aber auch jenseits davon kann man als Investor einige Erkenntnisse gut verwenden, zum Beispiel für die Auswahl von Paris-Aligned- und Climate-Transition-ETFs. Oder bei aktiven ESG-Fonds mit Fokus auf Klima, die Absicherung von Transitionsrisiken in Investmentportfolios bei Aktien und Corporates, oder den Fragen, ob man Performance aus der Transition eher bei Aktien oder Corporates suchen sollte, ob Low-Tracking-Error-Produkte im Hinblick auf das Transitonsrisiko Sinn ergeben, ob eher Sektorexposures die Performance treiben oder das im Fokus stehende Klimarisiko, um nur einige zu nennen.
Hedgework: Wie wählen Sie konkret die Titel aus, in die Sie investieren?
Füllgraf: Für die Climate-Smart-Long/Short-Strategie werden aus dem liquiden europäischen Aktienuniversum Aktien entlang der Komponenten Low Carbon, Carry, Momentum, Value und Size zunächst sortiert und die Teilergebnisse dann in einen „Endscore“ überführt. Dieser wird anschließend mit Hilfe eines Risikomodells unter Beachtung von Nebenbedingungen wie die Minimierung aller systematischen Risiken – beispielsweise Markt-, Sektor-, Kredit-, Zins- oder Währungsrisiken –, Transaktionsvolumen und -kosten zu einem Long/Short-Portfolio mit Zielvolatilität von 5% kombiniert. Wir sind schon häufiger gefragt worden, warum wir eine Volatilität von nur 5% anstreben. Der Grund dafür ist, dass wir für eine höhere Volatilität mehr systematisches Risiko eingehen müssten und damit Teile der Marktneutralität und Unkorreliertheit verloren gingen.
Hedgework: Inwiefern hat sich die Long/Short-Strategie bislang ausgezahlt?
Füllgraf: Die Climate-Smart-Long/Short-Strategie hatte zum 30 Juni 2024 ihr 7-jähriges Jubiläum und gemessen an unseren damaligen Erwartungen sind die wesentlichen Ziele bisher erreicht worden:
• Ein Ziel ist Geldmarkt plus 3-4% Performance; wir liegen bisher mehr als 4% über dem Geldmarkt;
• Das Volatilitätsziel liegt bei 5-6%; wir liegen bisher knapp über 5%;
• Der Maximum Drawdown sollte bei ungefähr 8% bleiben; wir haben bisher maximal 8,5% verzeichnet;
• Und schließlich sollte sich das Portfolio weitestgehend unkorreliert zu traditionellen Assetklassen verhalten; bislang liegen die Korrelationen und Betas bei etwa 0.
Im gleichen Zeitraum haben EU-Staatsanleihen negative Returns erzielt, Corporates ca. 1% Plus, High Yield 2,5% und europäische Aktien 7% an Performance geliefert.
Hedgework: Abschließend gefragt, wie sehen Sie die weitere Entwicklung bezüglich klimabezogener Investments?
Füllgraf: Die Aussichten für eine weiterhin attraktive Performance auf mittlere Sicht sind unter verschiedenen Perspektiven recht gut. Zum einen gehen wir von im Trend weiter steigenden CO2-Preisen aus. Der Grund dafür ist die bereits politisch verabschiedete Absenkung des maximalen CO2-Ausstoßes in der EU über die nächsten Jahre als Cap. Das wird über die Reduzierung der zur Verfügung gestellten CO2-Zertifikate erreicht. Dazu kommt, dass Anfang 2026 der Cross-Broder-Adjustment-Mechanismus in der EU eingeführt wird. Die Einführung dieser Grenzabgabe führt dazu, dass die kostenlose Abgabe von CO2-Zertifikaten, die unter anderem ja so etwas wie eine Subvention für EU-Unternehmen ist, zurückgeführt wird. Manche Experten gehen mittlerweile davon aus, dass sich bis 2030 bisweilen Defizite in Bezug auf die Zertifikate einstellen werden. Der Anpassungsdruck wird dadurch für viele Unternehmen wahrscheinlich noch mal ansteigen, was in der Folge dazu führen sollte, dass dies auch am Kapitalmarkt stärker eingepreist wird.
Hedgework: Und zum anderen?
Füllgraf: Zweitens war die Performance vieler Faktorprämien wie Value, Size oder Momentum in den letzten Jahren nicht nur in Europa recht schwach. Das war, nicht nur, aber überwiegend, der Konzentration der Performance auf wenige Large-Cap-Werte zuzuschreiben. Über die größten 50 Werte der breiten Marktindices betrachtet, war die Konzentration in Europa teilweise sogar höher als in den USA, wo der Fokus im Wesentlichen auf den Magnificient 7 lag. Wir gehen davon aus, dass diese Effekte mindestens an Momentum verlieren und sich vielleicht sogar umkehren, so dass man als Investor auch aus der Richtung eher Unterstützung für die Climate-Smart-Long/Short-Strategie erwarten sollte. Die Aussichten, dass die Strategie auch mittelfristig auf einem Excess-Return-Pfad zwischen 3 und 4% über Geldmarkt bleibt, sind also recht gut. Rechnet man noch den Geldmarktertrag hinzu, sollten sich somit auch weiterhin Returns deutlich über dem von Staatsanleihen, Corporate Bonds und eventuell auch High Yieldern ergeben.
---
*) Ulf Füllgraf Ist Geschäftsführer der Alpha Centauri, einer Asset-Management-Boutique, die sich auf liquide alternative Risikoprämien und Aktien-Faktorstrategien spezialisiert hat. Er verfügt über 30 Jahre Erfahrung im Asset Management, die er auch in seinen vorhergehenden Tätigkeiten unter anderem als Leiter Portfoliomanagement der SUVA (Schweiz) und als Gründer sowie Leiter der Multi-Asset-Abteilung der Deka erworben hat. Füllgraf ist Diplom-Bankbetriebswirt (Frankfurt School of Finance). iAlpha Centauri wurde 2005 als unabhängige Investmentboutique in Hamburg gegründet. Schwerpunkte der Geschäftstätigkeit sind Liquide Alternative Risikoprämien, Faktor Investing sowie Risikoidentifikation, -analyse und -steuerung.