Hedgework: Herr Füllgraf, Ihr Haus hat einen Zusammenhang zwischen dem CO2-Fußabdruck von Unternehmen und der Entwicklung des Aktienkurses festgestellt. Können Sie kurz zusammenfassen, worin dieser Zusammenhang besteht?
Füllgraf: Wir haben auf Basis von ISS Climate Solutions-Daten versucht, herauszufinden, ob der Kapitalmarkt den Klimawandel bereits in die Volatilität – also ins Risiko – und in die Performance von Aktien einpreist, und das unabhängig von bekannten Effekten wie bei VW im Zusammenhang mit dem Dieselskandal oder bei RWE im Rahmen der Energiepolitik. Beide Fragen konnten wir für den Analysezeitraum mit „ja“ beantworten – allerdings sollte man dabei berücksichtigen, dass die Datenbasis dafür noch vergleichsweise kurz ist.
Hedgework: Welche Möglichkeiten bestehen, den Fußabdruck verlässlich zu messen und mit anderen vergleichbar zu machen?
Füllgraf: Zunächst benötigt man die CO2-Daten für jedes Unternehmen. Diese werden direkt von den Unternehmen – zum Beispiel aus Geschäftsberichten, oder auch durch Approximationen – generiert. Natürlich stellt man dabei fest, dass es in Bezug auf Branchen, Geschäftsfelder und Unternehmensgrößen deutliche Unterschiede gibt. Vereinfacht: Der CO2-Fußabdruck eines Öl- oder Energieunternehmens ist größer als der eines Softwareunternehmens, der eines großen Unternehmens höher als der eines kleinen. Man muss also zunächst sinnvolle Metriken finden, um diese Unterschiede zu nivellieren und darüber hinaus alle sonstigen systematischen Einflussfaktoren auf Aktienkurse, wie Länder-, Währungs- oder Sektor-Risiken ausblenden. Dazu haben wir mit FIS-APT eines der aktuell leistungsfähigsten Risikomodelle benutzt.
Hedgework: Sollte hier seitens des Gesetzgebers noch nachgebessert werden?
Füllgraf: In die Klimadebatte ist ja zuletzt deutlich mehr Bewegung gekommen, wie die aktuelle Diskussion um CO2-Steuer vs. Ausweitung des Zertifikatehandels hier in Deutschland zeigt. Natürlich muss der Gesetzgeber allein schon im Rahmen der Daseinsvorsorge, vor allem auch mit Blick auf zukünftige Generationen, entsprechende Rahmenbedingungen schaffen – auch unabhängig von internationalen Verpflichtungen, wie dem Pariser Klimaabkommen. In Bezug auf die Kapitalmärkte und die Anforderungen insbesondere institutioneller Investoren wäre indes wünschenswert, wenn es bei einem „Rahmen“ bleibt, der ohne überbordende Bürokratie ausreichend individuelle Möglichkeiten zur Umsetzung lässt.
Hedgework: Welche Konsequenzen oder Folgen hat es für Unternehmen, wenn sie verschiedene Wege der Reduktion von Treibhausgasen gehen?
Füllgraf: Ganz grundsätzlich gibt es recht unterschiedliche Motivationen, Philosophien und Anforderungen über das Investorenspektrum hinweg. In der Umsetzung haben sich dabei unter anderem Ausschlusskriterien, Best-in-Class oder auch Impact Investing herauskristallisiert. Jeder Pfad hat seine eigenen Vor- und Nachteile, so haben große bekannte institutionelle Investoren wie der Norway Government Fund in den letzten Jahren mitunter deutlich niedrigere Performance in ESG-Portfolien im Vergleich zu klassischen Benchmarks hinnehmen müssen, was teilweise auch auf vorgegebene oder selbstverordnete Ausschlusskriterien zurückzuführen ist. Neben kurzfristiger Performance geht es aber hier unter anderem auch um langfristig angelegtes Risikomanagement und damit zunächst um identifizieren, quantifizieren, analysieren; im zweiten Schritt um Ziele wie Klimaneutralität anstreben und final um mögliche Investmentstrategien, Absicherung, Diversifikation etc.
Hedgework: Welche Konsequenzen können sich daraus für die Kurse ergeben?
Füllgraf: Im Kern unterscheidet sich das Klimathema nicht von anderen ökonomischen Prozessen – außer vielleicht, dass die politische Komponente ein höheres Gewicht hat. Mangelnde Anpassungsfähigkeit bringt Unternehmen unter Druck, die Risikoprämien steigen und die Aktien performen schlechter oder fallen. Zum Einfluss der Politik und möglichen Auswirkungen auf die Aktienkurse sind wir im Whitepaper, das wir zusammen mit ISS und Prof. Bassen von der Uni Hamburg veröffentlicht haben, eingegangen. Kurz nach dessen Erstveröffentlichung hat US-Präsident Trump den Ausstieg der USA aus dem Paris Agreement erklärt, worauf ausnahmslos alle Strategien an Performance verloren haben.
Hedgework: Welcher Grad der CO2-Reduktion ist für Unternehmen möglich, wenn gleichzeitig ein geringer Tracking Error im Vergleich zu einer breiten Benchmark angestrebt wird?
Füllgraf: Wir sind in unserem Researchprojekt auf eine Reduktion von bis zu 80% bei einem Tracking Error von bis zu 3% zu den breiten europäischen Aktienbenchmarks gekommen. Ökonomisch kann man das als eine Art „Benchmark-Investment plus Long-Call-Option“ verstehen. Die Option kommt „ins Geld“, sofern Unternehmen mit niedrigem CO2-Fußabdruck auch weiterhin bessere Returns liefern.
Hedgework: Welchen Grad an Reduzierung der CO2-Belastung kann man wiederum erreichen, wenn man außer nach einem niedrigen CO2-Fußabdruck nach Performance sucht und dafür weitere Aktien-Faktorprämien berücksichtigt? Und bestünde auch die Chance, einen negativen Portfolio-Carbon-Fußabdruck zu erreichen?
Füllgraf: Aktien-Faktorprämien sind ja ein Ausschnitt aus dem Spektrum der alternativen Risikoprämien. Dabei handelt es sich wie bei Zins-, Kredit- oder Aktienmarktrisiken um Prämien für systematische Risiken – also „Beta“ und nicht um „Alpha“ oder „Anomalien“. Der von uns herausgearbeitete CO2-Faktor hat in den letzten Jahren breite europäische Benchmarks outperformt, konnte aber mit anderen Faktorprämien nicht mithalten. Das muss in die Zukunft gerichtet aber nicht so bleiben. Unter den Prämissen haben wir eine Reihe von Strategien bis hin zu Long/Short entwickelt, die das Beste aus zwei Welten kombinieren: Partizipation an der Performance von Faktorprämien mit einem CO2-Fußabdruck, der durchaus bis deutlich in den negativen Bereich gehen kann.
Hedgework: Wie können Investoren die Möglichkeiten eines niedrigen oder neutralen CO2-Fußabdrucks in Bezug auf die Umsetzung nutzen?
Füllgraf: Für die einzelnen Strategien bieten wir zusammen mit verschiedenen Partnern eine Reihe von Implementierungsmöglichkeiten wie Fonds, Zertifikate, Swaps oder auch kapitalgarantierte Lösungen an.
Hedgework: Und wie wirken sich die verschiedenen Implementierungsmöglichkeiten gegebenenfalls auf das Gesamtrisiko eines institutionellen Portfolios aus?
Füllgraf: Grundsätzlich sind alle Strategien weitestgehend unkorreliert mit traditionellen Investmentrisiken. Trotzdem hängt das außer von der jeweiligen Strategie per se auch von der Frage ab, welche bestehenden Investments dadurch ersetzt werden.
Hedgework: Gibt es einen Anwendungsfall für die Reduzierung des CO2-Fußabdrucks eines Unternehmens über Pensions-Investitionen hinaus?
Füllgraf: Wie bereits heute bei Zins- oder Währungsrisiken werden sich Unternehmen wahrscheinlich zukünftig im Rahmen des Risikomanagements mit unterschiedlichen Verfahren und Instrumenten in Bezug auf die CO2-Problematik beschäftigen. Jenseits der CO2-Emissionen per se geht es aus Unternehmenssicht dabei immer um die ökonomischen Folgen. Dazu können unsere Erkenntnisse und Strategien hoffentlich einen Beitrag leisten.
Hedgework: Herr Füllgraf, vielen Dank für das Gespräch.
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*) Ulf Füllgraf ist Geschäftsführer der Alpha Centauri, einer Asset-Management-Boutique, die sich auf liquide alternative Risikoprämien und Aktien-Faktorstrategien spezialisiert hat. Der Diplom-Bankbetriebswirt (Frankfurt School of Finance) verfügt über 25 Jahre Erfahrung im Asset Management, die er auch in seinen vorhergehenden Tätigkeiten unter anderem als Leiter Portfoliomanagement der SUVA (Schweiz) und als Gründer sowie Leiter der Multi-Asset-Abteilung der DEKA erworben hat.
Alpha Centauri wurde 2005 als unabhängige Investmentboutique in Hamburg gegründet. Schwerpunkte der Geschäftstätigkeit sind Liquide Alternative Risikoprämien, Faktorinvesting sowie Risikoidentifikation, -analyse und -steuerung. Über die Grenzen von Hamburg und Deutschland hinaus ist das Unternehmen u.a. durch die iSTOXX Faktorindices bekannt, auf die z.B. die EUREX im Jahr 2017 die ersten europäischen Faktorfutures lanciert hat.