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„Die Seidenstraße war historisch die Basis für den größten Teil des weltweiten Handels – und dies über die längste Zeit der Geschichte“

„In der internationalen Politik geht es nie um Demokratie oder Menschenrechte. Es geht um die Interessen von Staaten. Merken Sie sich das, egal, was man Ihnen im Geschichtsunterricht erzählt.” (Egon Bahr). Geopolitik, China, Seidenstraße, Rohstoffe, Value Investing – Markus Hill* sprach für IPE D.A.CH mit Urs Marti, SIA Funds AG, über die Zusammenhänge und über die Bedeutung dieser Themenfelder für private und institutionelle Investoren in den nächsten Jahren. Abgerundet wird diese „Wirtschaftsprosa“ von Marti durch interessante Ausführungen zum Thema Geschichte, Europa, Vielfalt und Südtirol.

Urs Marti

Hill: Das Thema Geopolitik wird aktuell wieder intensiver diskutiert. Wo liegen die Chancen, Gefahren der Entwicklung? Welche Akteure, Interessen, Reaktionen und Beteiligte gibt es?
Marti: Die BRICS-Staaten unter der Führung von China versuchen schon lange ihren Bedarf an Rohstoffen mit verschiedenen Mitteln zu sichern. Letztlich wird für den Westen weniger zur Verfügung stehen. So wird der Überkonsum des Westens kaum zu befriedigen sein. Die Folge wird Inflation, Abwertung der Währungen und damit der Ersparnisse sowie eine relative Angleichung der Lebensstandards sein. Ebenfalls müssen die verschiedenen Währungen zueinander richtig bewertet werden, um die drastischen Ungleichgewichte der Handelsbilanzen zu normalisieren. Für den Westen hat dies eine massive Verteuerung der Importe, des Konsums und somit des Lebensstandards zur Folge. Die Kehrseite wird eine vermehrte Rückkehr der produktiven Jobs sein. Man wird zunehmend nur das konsumieren können, was man selber produziert, sei es bei Agrar- oder Industriegütern. Ganz einfach wird diese Umstellung kaum werden.

Hill: China und das Projekt „Neue Seidenstraße“ – was ist das und worum geht es dabei?
Marti: Der Name bezieht sich auf die alten Handelswege, welche Asien, Persien, Arabien, Ostafrika und Südeuropa auf dem Landweg verbunden haben. Ebenfalls geht der Name zurück auf den lukrativen Seidenhandel, der seinen Ursprung in der Han Dynastie 200 v. Chr. hatte. Die Seidenstraße war historisch die Basis für den größten Teil des weltweiten Handels – und dies über die längste Zeit der Geschichte. Erst vor ein paar hundert Jahren begann der Handel auf die Seewege zu migrieren. Technologische Veränderungen, vor allem das Schwarzpulver und die Nautik, führten zum Zeitalter des Kolonialismus. Verschiedene Seemächte beherrschten für jeweils ziemlich genau hundert Jahre den Welthandel und damit auch die Weltpolitik. Seit dem Fall des Kommunismus hat sich China geöffnet, industrialisiert und löst den Westen als neue aufstrebende Weltmacht ab. Begünstigt durch die Reservepolitik des Westens verschob sich in einer ersten Phase die Industrie. Die sogenannten Schwellenländer, China allen voran, haben riesige Devisenreserven aufgrund ihrer Handelsüberschüsse angehäuft, währenddessen die Notenbankbilanzen und die Verschuldungen seit der Finanzkrise ins Unermessliche steigen. Die ganzen Handelsbilanzüberschüsse wurden bisher mehrheitlich in Staatsanleihen der USA geparkt. Doch aufgrund ausufernder Entwicklungen ist man nicht mehr gewillt, dies weiterhin zu tun. Es ist für den Westen unmöglich diese Schulden mit reeller Gegenleistung zu decken. Dafür müsste man im drastischen Stil die Währungen abwerten. Der offizielle Goldbestand der USA würde gerade einmal das Handelsdefizit eines Jahres der USA gegenüber China decken. Politisch ist es für China schwierig, dieses „Papiergeld“ in reelle Werte zu konvertieren. Man müsste faktisch durch den Kauf von Technologie, Infrastruktur, Versorgung und Immobilien die USA kolonialisieren. Das ist jedoch unmöglich. Wohl auch ein Grund für die aktuelle politische Situation mit und in den USA. Entsprechend bleibt China die Möglichkeit, einen Großteil ihrer Handelsüberschüsse in die eigene Infrastruktur sowie in die Silkroad zu investieren.

Hill: Welche Auswirkungen hat dieser Sachverhalt auf den Rohstoffsektor?
Marti: Ein Ausbau der Transport, Verkehrs- und Kommunikationswege bringt immer einen sprunghaften Anstieg des Handels und Wohlstandes mit sich. Entlang dieser Handelswege lebt über die Hälfte der Weltbevölkerung – ein Großteil auf einem Wohlstandsniveau, welches nur ein Bruchteil von dem im Westen entspricht. Wohlstand, was unter anderem Infrastruktur, Güter und Energie bedeuten kann, ist immer mit Rohstoffkonsum verbunden. Dabei fällt auf, dass China zwar mittlerweile entlang der Küste hoch entwickelt ist – doch im Landesinneren viele Menschen noch sehr bescheiden leben. Dazu kommt, dass ein großer Teil der offiziell in China konsumierten Rohstoffe faktisch als industrielle Güter im Westen konsumiert werden. Wenn man sich beispielhaft die 10 größten Nationen und deren Entwicklung anschaut – China, Indien, USA, Indonesien, Pakistan, Brasilien, Nigeria, Bangladesch, Russland und Mexiko – ist es offensichtlich, was für ein potentieller Rohstoffbedarf vorhanden ist. Leider wird dieser, schon allein aufgrund natürlicher Limits, kaum zu befriedigen sein. Aber dazu kommt, dass seit 10 Jahren kaum mehr investiert wird. Somit wird strukturell die Produktion von Erzen, Energie, Uran und vielem mehr kaum ansteigen. Die Auswirkungen kann man sich ausmalen.

Hill: Welche Auswirkungen hat der nächste chinesische 5-Jahresplan? Welche Bedeutung hat in diesem Zusammenhang die sogenannte RCEP (Regional Comprehensive Economic Partnership)?
Marti: Es hängt alles zusammen. Der neue 5-Jahresplan ist ein Paradigmenwechsel. China will weniger Handelsbilanzüberschuss, mehr Binnenkonsum, mehr Investitionen im Binnenland. Folgerichtig müssen die Währungen angeglichen werden, um eine ausgeglichene Handelsbilanz zu erreichen. Dies bedeutet Inflation für den Westen, weniger Konsum und weniger Wohlstand (materieller Wohlstand ist nicht zwingend gleichzusetzen mit Lebensqualität!). Für die Silkroad bedeutet es das Gegenteil: Als Resultat dürften sich die großen globalen Blöcke vermehrt abschotten. Europa könnte Russland mit seinem Rohstoffreichtum aktiv umgarnen, statt es in die Hände von China zu treiben. Die USA haben zwar eine überbewertete Währung, aber sind zusammen mit Kanada, im Gegensatz zu Europa, potenziell Selbstversorger.

Hill: Welche interessanten Entwicklungen sieht man generell im Rohstoffsektor?
Marti: Aufgrund von jahrelangen Unterinvestitionen beginnt die Produktion zu sinken. Die Corona-Krise hat dies noch beschleunigt. Die Preise beginnen zu steigen und es wird zu Knappheiten kommen. Dies, kombiniert mit den von mir beschriebenen Entwicklungen in Asien und dem unermesslichen Gelddrucken, Staatsdefiziten und kommenden Stimuli für den Corona Wiederaufbau im Westen, führt auch hier zu zusätzlichen Investitionen in Infrastruktur, was wiederum die Nachfrage nach Rohstoffen zusätzlich erhöht. Und dies in einem Moment von weltweiten Unterinvestitionen in einem noch nie dagewesenen Ausmaß. Meiner Meinung nach werden Inflation, Rohstoffe, Emerging Markets und Value die vorherrschenden Anlagethemen für die kommende Dekade sein.

Hill: Sie investieren in Rohstoffe mit einer „Value-Brille“ bei der Auswahl von Titeln. Glauben Sie, dass der Value-Ansatz im nächsten Jahr wieder attraktiv wird?
Marti: Ja, absolut. Lassen Sie mich zuerst etwas präziseren – wir investieren nicht in Rohstoffe direkt, sondern in Rohstoffunternehmen, denn in unseren Augen profitieren wir so überproportional von steigenden Rohstoffpreisen. So konnte man zum Beispiel in diesem Frühjahr nur Öl zu negativen Preisen kaufen, wenn man auch einen leeren Tank hatte. Hingegen wurden sehr gute Ölfirmen mit großen Reserven von den Märkten so extrem tief bewertet, als ob der Ölpreis für sehr lange tief bleiben würde. Diese Tatsache nutzten wir aus um unser Engagement in diesem Segment zu erhöhen. So stieg beispielsweise unser Fonds, der Long Term Investment Fund Natural Resources, seit dem März gut 80%, im Vergleich dazu haben direkte Rohstoffinvestments via Futures gerade einmal 30% zugelegt. Sehr interessant ist die Tatsache, dass sich die Anlagethemen Rohstoffe und Value Investing in der Vergangenheit der letzten 100 Jahre sehr oft synchron bewegt haben. Entsprechend sind wir für beide Anlagethemen für die nächsten 5-10 Jahre sehr positiv eingestellt und in unseren Augen lohnt sich ein Investment für langfristige Anleger in diesen Bereichen, auch aus der Optik einer zukünftig steigenden Inflation.

Hill: Sie lesen gerne. Was steht gerade aktuell auf dem Plan?
Marti: Mich interessiert Geschichte generell. Es gibt immer wieder große Zyklen und Umwälzungen. Meist verbunden mit Krisen, Kriegen, Währungsreformen. Familiär bedingt interessiert mich auch die Geschichte von Italien. Beispielsweise war das Königreich Sizilien bis 1860 die reichste Gegend der Welt, bevor es dann von Garibaldi sozusagen „befreit“ wurde. Derzeit lese ich „Der Verrat: Die Nachkriegsjahre meiner Südtiroler Heimat“. Im Südtirol war ich in der Vor-Corona-Zeit öfters im Urlaub. Es ist erstaunlich, was dort in den Nachkriegsjahren für ein politisches Gerangel stattfand für eine auf den ersten Blick eher kleine, unbedeutende Gegend. Selbst da gab es sehr viele Interessen des kapitalistischen sowie kommunistischen Blocks. Dann zusätzlich die Problematik der „indigenen“ Tiroler Bevölkerung, die ihre Kultur vor dem Hintergrund dieser wechselhaften Geschichte des letzten Jahrhunderts mit großer Leidenschaft pflegt. Wie bei vielen autonomen Gebieten in Europa gibt es auch heute noch kontroverse Sichtweisen und Narrative im Bereich Nationalgeschichte. Glücklicherweise leben wir im 21. Jahrhundert, man diskutiert engagiert und geht im schlimmsten Falle mit unterschiedlichen Meinungen zu bestimmten Sachverhalten auseinander. Europa bedeutet Vielfalt, jeder wandelt da sozusagen in verschiedenen Mokassins!

Hill: Vielen Dank für das Gespräch.

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*) Markus Hill ist unabhängiger Asset Management Consultant in Frankfurt am Main. Kontakt: info@markus-hill.com; Website: www.markus-hill.de

Informationen zur SIA Funds AG: https://s-i-a.ch