Die Bundesregierung hat für Deutschland das Ziel einer Treibhausgasneutralität bis 2045 definiert. Als Zwischenziel sollen die Emissionen bis 2030 um rund 65% gegenüber 1990 reduziert werden.
Der Immobiliensektor als ein wesentlicher Verursacher von Treibhausgasen muss einen spürbaren Beitrag zur Erreichung der Klimaschutzziele leisten. Mehr als ein Drittel der CO2-Emissionen und 40% des Endenergieverbrauchs entfallen in der EU auf Gebäude. Die EU-Klimataxonomie dient auf diesem Weg als Guideline für ökologisch nachhaltige Investitionen. Der finale Entwurf der EU-Gebäuderichtlinie vom 15. Dezember 2021 gibt bei Bestandsimmobilien für öffentliche und Nicht-Wohngebäude bereits bis 2030 einen energetischen Mindeststandard von Klasse E vor. Für Wohngebäude gilt dies bis 2033. Ein Energieklasse-E-Haus weist einen Endenergieverbrauch pro Quadratmeter und Jahr zwischen 130 und 159 kWh auf, ein Energieeffizienzklasse-F-Haus kommt auf 160 bis 199 kWh, Energieeffizienzklasse-G-Immobilien auf Endenergiebedarf zwischen 200 und 249 kWh.
Einige unserer Nachbarn sind da sogar schon weiter: In Frankreich etwa ist der Energieverbrauch für Wohngebäude ab 2028 gedeckelt. Für Wohnungen, die nicht mindestens die Klasse E erreichen, werden Strafen verhängt und Sanierungspflichten greifen. Bereits seit 2021 darf ein Vermieter, der seine Wohnung nicht entsprechend renoviert hat, bei einem Mieterwechsel keine Mieterhöhung mehr vornehmen. In den Niederlanden müssen Bürogebäude ab 2023 mindestens eine Energieeffizienzklasse von C aufweisen.
Ob ein Objekt letztlich zum Stranded Asset wird, hängt allerdings nicht nur vom energetischen Zustand des Gebäudes, sondern auch von seiner Makro- und Mikrolage ab. Gute Lagen können höhere Kosten einer Ertüchtigung wirtschaftlich rechtfertigen. In schlechteren Lagen hingegen besteht tendenziell eine höhere Gefahr, dass Immobilien in die regulatorisch induzierte Abwertungsfalle laufen, da der Aufwand für Ertüchtigung und das Renditepotenzial des Assets schnell in ein Missverhältnis geraten können.
Höchste Zeit für eine Bestandsaufnahme
Eigentümerinnen und Eigentümer von Immobilien sollten keine wertvolle Zeit verlieren und sich an eine Bestandsaufnahme ihres Immobilienportfolios machen. Das ist meist kein leichtes Unterfangen, denn der Datenbestand dürfte unter Nachhaltigkeitsaspekten häufig noch nicht den entscheidungsrelevanten Anforderungen entsprechen. Und die Datenlage bzw. deren Analyse können durchaus komplex sein: Neben einer technischen Bestands- und Zustandsanalyse können unter anderem Halbwertszeiten von Gewerken oder Informationen zu verbauten Materialien für eine spätere Integration in ein Kreislaufwirtschaftssystem einen Mehrwert liefern.
Da aktuell noch keine Standards formuliert sind und die Gesetzgebung Fragen zum Teil noch unbeantwortet gelassen hat, sollte eine fachliche Expertise hinzugezogen werden, die insbesondere bei der Frage nach energetischen Möglichkeiten sowie korrespondierenden Kosten unterstützt. Eine Modernisierungs-Roadmap kann langfristig Vermögenswerte belastbar erhalten. Ebenso geben die bekannten Gebäudezertifizierungen DGNB, BREEAM oder LEED sowie spezifischere Labels – etwa das nationale ECORE-Scoring oder die internationale Alternative GRESB-Score – Orientierung.
Ziel der Bestandsaufnahme ist eine vollständige Kosten-Nutzen-Analyse für das einzelne Gebäude. Unter Beachtung von Portfolio- und strategischen Überlegungen auf Unternehmensebene dient sie als Entscheidungsbasis für die Optionen „Ertüchtigung“ oder „Verkauf“. Mit Abschluss der Bestandsaufnahmen und -analysen sollten Asset Manager folgende Frage beantworten können: Welche Immobilien aus unserem Portfolio können wir gemäß der EU-Taxonomie wirtschaftlich sinnvoll ertüchtigen und welche Objekte sollten wir veräußern?
Abwarten ist keine Option
Nicht zu handeln ist in aller Regel keine Option, denn sofern die Mindeststandards nicht im zeitlichen Rahmen erreicht werden, führt das im Zeitablauf automatisch zu Wertverlusten. Wenn sich abzeichnet, dass sich die Ertüchtigung eines Objektes nicht mehr lohnt oder Ressourcen oder Know-how fehlen, sollte man sich unverzüglich mit dem Verkauf auseinandersetzen. Bei dieser Überlegung spielen auch steigende Material- und Arbeitspreise, bzw. deren Verfügbarkeit eine Rolle. Zu bedenken ist auch, dass die wechselhafte, unkalkulierbare Förderpolitik eine solide Abschätzung der Situation erschwert.
Zusätzlichen Einfluss erlangen steigende Fremdfinanzierungskosten, die zudem Druck auf die Kaufpreise und damit auch auf zukünftige Immobilienwerte ausüben.
Und nicht zuletzt führt die positive Bewusstseinsänderung der Markteilnehmer in Bezug auf Nachhaltigkeit im Umgang mit Ressourcen zu einer veränderten Flächennachfrage, die in Kombination mit den massiven aktuellen Preissteigerungen bei Energie- bzw. Betriebskosten, Eigentümerinnen und Eigentümer mit zu modernisierenden Objekten zum Handeln zwingt.
Somit erzeugt die EU-Taxonomie mit Ablauf jedes weiteren Jahres bis 2030 und darüber hinaus steigenden Druck bei allen Marktteilnehmenden, die Zahl der zur Veräußerung stehenden Liegenschaften dürfte tendenziell zunehmen und bei einem zu erwartenden Angebotsüberhang entsprechende Auswirkungen auf die Preise entfalten. Sprich, die Verkaufspreise energetisch nicht mehr zeitgemäßer Immobilien werden sich umso mehr reduzieren, je näher das Datum der anvisierten Klimaneutralität rückt – erste Effekte sind bereits am Markt spürbar. Deshalb heißt es nun schnell entscheiden, wo es Sinn ergibt, die betroffenen Immobilien selbst zu ertüchtigen oder besser rasch zum Verkauf zu stellen.
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*) Manfred Over ist Direktor Immobilien Investment Beratung (IIB) der Aareal Bank AG.