IPE D.A.CH: Geben Sie uns zu Beginn bitte Ihre Einschätzung zu den Themen und Trends, die das Verwahr- und Custodygeschäft im Jahr 2022 prägen werden.
Noltsch: In 2022 wird uns eine Mischung aus altbekannten Themen und neuen Herausforderungen begegnen. Wir sehen auf der einen Seite die bekannten regulatorischen Anforderungen wie die Umsetzung der CSDR und des Fondsstandortgesetzes und die weitere Entwicklung und die damit einhergehenden Pflichten rund um das Thema ESG. Hier gilt es als Anbieter gut aufgestellt zu sein, um diesen Anforderungen gerecht werden zu können und unsere Anleger bestmöglich unterstützen zu können. Wir sehen zudem weiterhin und ungebrochen einen starken Drang in Richtung alternative Investments, der sich durch die Auflage von reinen Private Asset Vehikeln, verstärkt in Deutschland, manifestiert. Darüber hinaus werden technologische Themen wie DLT und Tokenization in der nächsten Zeit den Markt in Atem halten. Eine Reihe von asiatischen Märkten, z.B. Singapur, sind in diesem Bereich schon etwas weiter als die meisten europäischen Märkte, deshalb können Anbieter mit einem breiten asiatischen Konzernbezug bereits erzielte Erfolge einfacher replizieren und sind damit leicht im Vorteil. Insgesamt verspricht 2022 auch vor dem Hintergrund eines sich unter Umständen ändernden Marktumfelds ein spannendes Jahr für unsere Branche zu werden.
IPE D.A.CH: Mit Blick auf die Kapitalmärkte rücken Zinssteigerungsszenarien näher. Was sind die Auswirkungen insbesondere auf die bestehenden Bondinvestments institutioneller Investoren aber auch im Hinblick auf andere Assetklassen wie Aktien oder alternative Investments?
Noltsch: Besonders bei Investoren mit rentenlastigen Portfolios hat der Zinsanstieg in den vergangenen Monaten Spuren in den Fonds hinterlassen. Die zunehmenden Inflationssorgen und die daraus resultierenden Unsicherheiten hinsichtlich einer geldpolitischen Verschärfung in den USA, aber auch der Eurozone, haben zum Jahresstart bereits zu Kursrückschlägen an den Aktienmärkten geführt. Was alternative Investments betrifft, ist das Interesse unserer institutionellen Investoren ungebrochen und verstärkt sich derzeit eher noch. Der deutsche Gesetzgeber hat an dieser Stelle in den letzten Jahren aufsichtsrechtlich und steuerrechtlich Möglichkeiten geschaffen, alternative Investmentstrategien in Deutschland abbilden zu können und dies wird nach wie vor sehr stark nachgefragt. Besonders Infrastructure Debt spielt für nahezu alle Anleger eine immer größere Rolle. Integriertes Finanzierungs- und Abwicklungswissen sind dabei ein erheblicher Erfolgsfaktor. Daneben führt die zunehmende Wohlstandsverschiebung von West nach Ost zu einer stetig steigenden Bedeutung von Schwellenländern insbesondere in Asien.
IPE D.A.CH: Sind bedingt durch die Reform der Einlagensicherung negative Implikationen für Institutionelle Anleger zu erwarten?
Noltsch: Für institutionelle Investoren bricht Anfang 2023 mit der Reform der Einlagensicherung im Prinzip ein komfortables Sicherheitspolster weg. Das Thema Sicherheit bei der Verwahrung der Vermögensgegenstände wird bei institutionellen Investoren somit weiter in den Fokus rücken und man wird sich in Zukunft noch genauer überlegen müssen, welchen Anbietern man sein Vertrauen schenken kann. Sowohl die Bilanzgröße und –struktur als auch die nachhaltige Ertragskraft der Custodians sind an dieser Stelle sehr wichtige Indikatoren, welche für institutionelle Investoren zukünftig noch stärker an Bedeutung gewinnen werden.
IPE D.A.CH: Hohe Volatilität bedeutet hohe Transaktionszahlen und somit eine wesentliche Ertragsquelle von Custodians. Ist vor dem Hintergrund von Zinssteigerungen sowie einer Normalisierung der Kapitalmärkte nach Corona Schluss damit?
Noltsch: Eine Welt nach Corona wird sicher nicht mehr die Welt sein, die wir vor Corona kannten und das betrifft unter Umständen auch eine ‚Normalisierung‘ der Kapitalmärkte. Nimmt man allerdings an, dass die Kapitalmärkte sich auf einem ‚Vor-Corona-Niveau‘ einpendeln, wäre vermutlich mit einer Abnahme der Transaktionszahlen zu rechnen. Was aber meines Erachtens gegen dieses Bild spricht, ist die starke Zunahme der Marktteilnehmer durch die sogenannten Neobroker, die über Smartphone-Apps den Handel von Wertpapieren ermöglichen und stark vereinfachen, dabei die Transaktionskosten senken und neue Aktiensparprogramme anbieten. Das Deutsche Aktieninstitut (DAI) spricht dabei von einem „Jugendboom an der Börse“, da die Zahl der Aktiensparerinnen und -sparer im Alter zwischen 18 und 29 Jahren im Jahr 2020 um über 67% gestiegen sei. Das neue Normal wird demnach nicht nur von Corona getrieben, sondern ebenfalls durch die fortschreitende Digitalisierung, neue Innovationen und die sich verändernde Gesellschaft und somit neue Marktteilnehmer. Im Hinblick auf die Zinssteigerungen haben die Notenbanken in 2021 immer wieder betont, dass sie die wirtschaftliche Erholung nicht riskieren wollen. Aus strategischer Sicht ist an dieser Stelle eher mit einer abwartenden Haltung als mit einer verfrühten Straffung zu rechnen, die isoliert betrachtet in 2022 aus unserer Perspektive keinen direkten Einfluss auf die Transaktionszahlen haben wird.
IPE D.A.CH: Blockchain und DLT sind Themen, wo sich bisher kein Custodian so richtig in die Karten schauen ließ. In welchen Anwendungsgebieten sehen Sie das größte Potential und begründet sich dieses eher durch Kosteneinsparungen oder zusätzlichen Erträgen?
Noltsch: Das Potential von Blockchain und DLT wird in verschiedenen Bereichen intensiv diskutiert und erforscht. Allgemeiner Konsens besteht darüber, dass die Technologien sowohl disruptiv sind, als auch ein evolutionäres Potenzial für Finanzmärkte bieten. Abgesehen von potenziellen Kosteneinsparungen oder zusätzlichen Erträgen sehen wir beispielsweise das größte Potential dieser Technologien in der potentiellen Risikominimierung und Verbesserung der Governance-Aktivitäten. Durch synchronisierte und dezentrale Datenstrukturen ergeben sich automatisch neue und bessere Kontroll- und auch Reporting-Möglichkeiten, die zukünftig einen Mehrwert für unsere Branche und unsere institutionellen Kunden darstellen können.
IPE D.A.CH: Welche konkreten Ausprägungen für institutionelle Investoren hat das Megathema ESG bei Ihnen im Hause?
Noltsch: Das Thema ESG hat in den letzten Jahren zu Recht an immer größerer Bedeutung gewonnen. Wir begegnen der wachsenden Nachfrage rund um ESG-Produkte im Securities Services Umfeld mit umfangreichen Nachhaltigkeits-Reportings und individuellen Möglichkeiten, um den Nachhaltigkeitsansatz unserer institutionellen Investoren in ihren Fonds zu verankern. Aus der Offenlegungs-VO und der Taxonomie-VO ergeben sich beispielsweise Veröffentlichungspflichten für die Anleger. Es besteht eine große Nachfrage seitens der institutionellen Kunden, Hilfestellung bei der nicht immer ganz trivialen Implementierung der Vorgaben zu erhalten und sie durch Unklarheiten der Taxonomie zu manövrieren.
IPE D.A.CH: Bisher spielt die öffentliche Hand als Investor im institutionellen Asset Management eine untergeordnete Rolle. Ändert sich dies perspektivisch – Stichwort Aktienrente?
Noltsch: Die öffentliche Hand spielt heute schon eine Rolle, aber durch die Einführung einer teilweise kapitalgedeckten Rente, so wie es der Koalitionsvertrag vorsieht, tut sich natürlich eine große Chance für die weitere Entwicklung auf. Die entscheidenden Fragen für unsere Branche sind: (i) bringt die Ampelkoalition tatsächlich den politischen Mut auf und baut einen breit aufgestellten, professionell agierenden Staatsfonds auf und (ii) wird dieser sich in seiner Flexibilität und Struktur an bestehenden Erfolgsmodellen orientieren? Wenn dies erfolgreich in die Tat umgesetzt wird, spielt die öffentliche Hand durchaus zukünftig als Investor am Kapitalmarkt und natürlich auch in der Wertpapierdienstleistungsbranche eine potentiell zunehmend relevante und viel größere Rolle.
IPE D.A.CH: Werfen wir abschließend noch einen Blick in die Glaskugel zum Stichwort Anbieterkonsolidierung der Verwahrstellen- und Custodylandschaft in Deutschland. Geht es weiter oder ist eine langfristig stabile Anzahl von Anbietern erreicht?
Noltsch: Die regulatorischen Herausforderungen stellen bereits heute einige Anbieter vor große Herausforderungen. Hinzu kommt ein sich wahrscheinlich änderndes Marktumfeld, welches die Verwahrstellen- und Wertpapierabwicklungsbranche in Deutschland ebenfalls kontinuierlich auf die Probe stellt: Der in den vergangenen Jahren zugenommene Margendruck und das Negativzinsumfeld zwingen viele Anbieter dazu, ihre Geschäftsmodelle zu überprüfen und sich breiter zu diversifizieren – globale Anbieter können größere Skaleneffekte erzielen und sich dadurch einen Wettbewerbsvorteil verfügen. Es leitet sich auch ab, dass Single Product Provider und sog. Monoliner größere Schwierigkeiten haben ihre Leistungspalette zu erweitern als Universalbanken. Darauf basierend erwarten wir in Deutschland tendenziell eine weitere Konsolidierung der Anbieter, von der die großen Universalbanken profitieren werden. Global betrachtet findet in den nächsten Jahren strukturell eine gewaltige Verschiebung von Wohlstand von West nach Ost, insbesondere nach Asien statt. Für ein erfolgreiches weltweites Geschäftsmodell in der Wertpapierdienstleistungsbranche wird für die Global Player eine tragfähige Schwellenländer-Strategie unerlässlich. Was in Asien passiert hat Relevanz für den deutschen Markt.
IPE D.A.CH: Besten Dank für diese Einschätzungen.