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Gastbeitrag: Matterhorn, Hochplateau oder Mont Ventoux?

Anders als am Bahnhof gibt es an der Börse kein Signal für den Einstieg. Stattdessen müssen Anleger selbst eine Vielzahl unterschiedlicher Signale filtern, um den richtigen Einstiegs- (und Ausstiegs-) punkt zu finden.

Johannes Heib

An den Anleihemärkten ist die Leitzinsentwicklung eines der diesbezüglich wichtigsten Signale – und hier könnten wir aktuell vor einem Scheidepunkt stehen: am Gipfelkreuz des Matterhorns, auf einem Hochplateau oder im ausgedehnten Aufstieg auf den Mont Ventoux. Die Zinsen könnten also sinken, sich auf dem aktuellen Niveau einpendeln oder noch weiter steigen.

Wie der Federal Reserve-Vorsitzende Jay Powell zuletzt erklärt hat, ist die Fed bereit, die Leitzinsen bei Bedarf weiter anzuheben, und entschlossen, an ihrer restriktiven Geldpolitik festzuhalten, bis sich die Inflation nachhaltig ihrem Zielwert nähert und die Arbeitslosenzahlen auf dem gewünschten Niveau sind. Ähnlich hat sich auch EZB-Präsidentin Christine Lagarde geäußert, die in Ihrem Mandat jedoch nur die Inflation und nicht die Arbeitslosigkeit zum Ziel hat. Solange die Inflationsrate nicht das 2%-Ziel der Zentralbanken erreicht und sich dort einpendelt, dürften also keine Zinssenkungen in Sicht sein.

In diesem Umfeld spricht meiner Meinung nach viel für Corporate Bond Anlagen, die aktuell die höchsten Gesamtrenditen seit mehr als zehn Jahren bieten. Gemessen an den Credit Spreads sind die Bewertungen zwar nicht mehr so attraktiv wie vor sechs oder zwölf Monaten – in den USA liegen die Spreads jetzt leicht unter dem langfristigen Medianwert, in der Eurozone etwas darüber. Grund dafür sind allerdings das günstigere Risikoumfeld und solide Unternehmensfundamentaldaten. Nachdem weder der Energieschock noch die drastischen Zinserhöhungen die Weltwirtschaft in die Knie gezwungen haben und die Pleiten mehrerer US-Regionalbanken und der Credit Suisse keine Systemkrise ausgelöste haben, sind die Risikoaufschläge deutlich gesunken.

Aus Gesamtrenditesicht sieht das Bild besser aus. Die nominalen Renditen von Investment-Grade-Anleihen in US-Dollar und Euro sind so hoch wie seit über zehn Jahren nicht mehr. Und, was noch wichtiger ist: Die realen, also um die erwartete Inflation bereinigten, Erträge aus diesen Anleihen sind ebenfalls so hoch wie zuletzt vor der globalen Finanzkrise. Außerdem liegen die Renditen von Investment-Grade-Anleihen deutlich über den Dividendenrenditen von Aktien. Natürlich könnten die Anleiherenditen auch noch weiter steigen – dafür bräuchte es aber vermutlich eine Eintrübung des Ausblicks für die Unternehmen, eine höhere Inflation und/oder eine aggressivere Zentralbankpolitik.

Insgesamt sind die Indexbewertungen für Euro-Unternehmensanleihen günstiger als für US-Dollar-Anleihen. Wir sehen jedoch selektive Möglichkeiten für eine Diversifikation in US-Anleihen – und mehrere Gründe, die für eine solche Diversifikation sprechen.

Zum einen übersteigen die Zinsunterschiede die Kosten der Währungsabsicherung bei kürzeren Laufzeiten. Da erwartet wird, dass sich die Leitzinsen der Eurozone dem Niveau der US-Leitzinsen nähern, dürften die Kosten der Währungsabsicherung in den nächsten zwölf Monaten auf rund 1,4% zurückgehen.

Zweitens haben wir im September bereits ein reges Emissionsgeschehen am US-Primärmarkt gesehen, wobei viele Unternehmen höhere Zinskupons als bisher und großzügige Neuemissionsprämien angeboten haben. Wir rechnen mit weiteren Neuemissionen in den nächsten Monaten. Insbesondere für Versicherungsanleger mit einer Buy-and-Maintain-Strategie kann es sich lohnen, sich diese höheren Zinsen zu sichern.

Drittens ist es wichtig zu bedenken, dass Indizes nur Durchschnittswerte darstellen und Bond-Picker die Renditeunterschiede unter den Indexkomponenten ausnutzen können. Je größer das Universum, desto größer die zu erwartende Streuung.

Unsere jüngste Modellierung eines Unternehmensanleiheportfolios für Versicherungsanleger zeigt, dass eine Umschichtung weg von Euro-Anleihen - selbst nach der Währungsabsicherung - die Rendite erhöhen kann. Bei ansonsten unveränderten Parametern könnte dies bei einer guten Titelselektion gemäß unserem Modell bis zu 25 Basispunkte an zusätzlicher Rendite bringen.

Wir halten es für zunehmend wahrscheinlich, dass die US-Zinsen als erstes sinken werden, allerdings noch nicht so bald. Die Risiken in Europa sind höher und damit auch die Wahrscheinlichkeit einer Zinserhöhung durch die EZB. Neben einer Diversifikation in hochwertige US-Anleihen könnte sich in diesem Umfeld eine Barbell-Strategie mit einer Kombination aus variabel und festverzinslichen Anleihen auszahlen, um vom äußerst attraktiven kurzen Ende der Zinskurve zu profitieren – zum Beispiel durch Immobilienkredite, Direct Lending oder Senior Secured Loans.

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*) Johannes Heib, Leiter Versicherungen Deutschland, Invesco Asset Management Deutschland GmbH