Foundation | Welcome

Menu


Gastkommentar: Wachsende Speckgürtel – wachsendes Investoreninteresse

Wenn es um Gewerbeimmobilien geht, gelten Logistikobjekte unter vielen Investoren angesichts der Corona-Rezession mittlerweile als das Produkt der Wahl. Doch das Bild von der Logistikwirtschaft, die gestärkt oder gar als „Gewinner“ aus der Krise hervorgeht, ist viel zu pauschal und irreführend. Stattdessen zeigen sich von Branche zu Branche deutliche Unterschiede.

Dr. Alexander Nehm

Während der Lebensmitteleinzelhandel praktisch keinerlei Abschwung zu verzeichnen hat, sieht die Situation beispielsweise im Automotive-Segment oder in der Textilwirtschaft anders aus. Welche Entwicklungen ergeben sich dadurch für die deutschen Logistikimmobilienstandorte? Dafür ist eine differenzierte Betrachtung notwendig. Schließlich zeigt sich das Logistiksegment mit insgesamt 23 Top-Regionen deutlich granularer als beispielsweise die Märkte für Büro- und Hotelimmobilien.

Nachfrage in den Ballungszentren wächst
Es zeichnet sich allerdings ab, dass die deutschen Ballungszentren als Logistikimmobilienstandorte aller Wahrscheinlichkeit nach gestärkt aus der Krise hervorgehen werden. Die große Bandbreite der eingangs erwähnten Wirtschaftsstrukturen ist maßgeblich dafür verantwortlich: In den Städten gibt es die größte Spreizung bei den potenziellen Nachfragerbranchen, und eine Immobilie, die beispielsweise von einem stationären Händler aufgegeben werden muss, könnte auch von einem Online-Pure-Player zur Kommissionierung nachgenutzt werden. Neben dem Handel sind aber auch Industrienutzungen in aller Regel stark vertreten – und auch dort gibt es oftmals Möglichkeiten zur Drittverwendung nach Auslaufen eines Mietzyklus.

Zudem sind einige der Ballungsräume auch wichtige internationale Logistik-Gateways: Die für Im- und Export wichtigen Infrastrukturknoten wie in Hamburg oder Bremen oder der Duisburger Hafen, aber auch der der Flughafen Frankfurt am Main werden ihre herausragende Bedeutung nicht verlieren. Während also an diesen wichtigen neuralgischen Standorten kurzfristig Leerstände auftreten können, wird dies in den allermeisten Fällen nur ein vorübergehendes Phänomen sein.

Zehn Kilometer weiter hinaus
Diese Zusammenhänge sorgen dafür, dass die meisten deutschen und internationalen Investoren – genauso wie die entsprechenden Immobiliennutzer – auf der Suche nach (inner-)städtischen Flächen in etablierten Lagen sind. Das aktuelle Zauberwort heißt „Urban Logistics“. Allein die Angebotssituation macht es jedoch unmöglich, den gesamten Bedarf abzudecken. Die urbanen Bau- oder Revitalisierungsgrundstücke waren bereits vor der Corona-Krise sehr stark limitiert, und auch vonseiten der Kommunen regten sich allzu häufig Widerstände gegen neue Logistikansiedlungen. Das wird auch in Zukunft so bleiben.

Die einzig logische Folge daraus ist, dass neue Flächen in größerer Entfernung zum Stadtkern errichtet werden. Während beispielsweise noch vor einigen Jahren eine Distanz von 30 Kilometern als akzeptabel für Nutzer und Investoren betrachtet wurde, könnten es zukünftig gerade für die kostenbewussten Marktakteure bis zu 40 Kilometer oder mehr sein. Allein zehn Kilometer an zusätzlicher Wegstrecke würden dafür sorgen, dass sich der Suchradius der „Logistik-Speckgürtel“ um mehrere tausend Quadratkilometer vergrößern würde, in manchen Städten kämen gut und gerne Hunderte von Kommunen hinzu, die als Logistikimmobilienstandort an Relevanz gewinnen. In genau diesen Gemeinden werden sich die Wachstumsimpulse in den kommenden Jahren daher am deutlichsten zeigen.

Investorennachfrage höher als Nutzernachfrage
Allerdings erleben wir, dass die aktuelle Konzentration der Investoren auf die „Core“-Lagen in den Ballungsräumen sogar noch größer ausfällt als die tatsächliche Nachfragesituation. Sprich: Wenn heute jeder Investor nach Belieben entwickeln könnte, würden zahlreiche Objekte leer stehen, da die Logistiknachfrage nicht ausreichen würde. Tatsächlich ist eine solche Überentwicklung infolge des Flächenmangels nicht zu erwarten, aber dennoch zeigt sich daran, dass der Investorenfokus übermäßig stark auf diesen urbanen Standorten liegt.

Die regionalen Logistikimmobilienmärkte sind im Vergleich hierzu deutlich entspannter. Doch jenseits der Ballungszentren steigen auch die potenziellen Risiken für Investoren: Es zeichnet sich ab, dass die Nachfrage nach Logistikimmobilien gerade dort einen Knick erfahren wird, wo die regionale Logistik zu stark von einzelnen Wirtschaftszweigen abhängig ist. Zum Beispiel weisen einige der mittel- und süddeutschen „Automotive-Hochburgen“ nur vergleichsweise wenig Logistiknachfrage vonseiten anderer Nutzerprofile sowie auch einen überschaubaren endogenen Bedarf auf. Im Fall eines anhaltenden wirtschaftlichen Abschwungs ist die Vermietbarkeit der entsprechenden Immobilien also keineswegs gesichert. Selbst bei einem bonitätsstarken und krisenresistenten Mieter könnten also nach dem Vermietungszyklus Probleme auftreten.

Einige schwimmen gegen den Strom
Einige – vor allem versierte – Investoren fokussieren sich daher auf diejenigen Regionalstandorte, die entweder sehr stark branchendiversifiziert oder aber für die Belieferung der Städte unentbehrlich sind. Ein gutes Beispiel findet sich in der geografischen Mitte Deutschlands um Erfurt und Bad Hersfeld. An diesem neuralgischen Knotenpunkt befinden sich die meisten Zentrallager all derjenigen Unternehmen, die ihre Kunden oder Filialen in gesamt Deutschland aus einem Lager beliefern – also sowohl stationäre Händler als auch E-Commerce-Unternehmen, genau wie Industrieunternehmen und die Hersteller von Konsumgütern. In diesen Regionen, von denen aus ganz Deutschland innerhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Lenkzeiten an einem Tag erreicht werden kann, wird immer ein gewisses Nachfrageniveau unabhängig der Entwicklungen einzelner Branchen herrschen.

Das bedeutet nicht, dass diese Regionen als Investmentstandorte grundsätzlich besser performen als die Speckgürtel. Dies hängt nach wie vor maßgeblich vom jeweiligen Objekt und dem genauen Standort ab. Schließlich ist für eine genaue Analyse der Investmentpotenziale unter anderem die lokale Marktentwicklung inklusive eventueller Konkurrenzobjekte genauso wichtig wie ein Vergleich der einzelnen örtlichen Gewerbegebiete und ihrer Anziehungskraft auf Logistikunternehmen und deren Angestellten. So sehr sich einzelne Logistikregionen infolge des Corona-Schocks also auch verändern mögen, handelt es sich dennoch nur um einen Aspekt von vielen, die über Wohl und Wehe eines Immobilieninvestments entscheiden können.

---
*) Dr. Alexander Nehm, Geschäftsführer Logivest Concept GmbH