Die Stellungnahmen der Europäischen Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung (EIOPA) stellen einen wichtigen Beitrag zum Review-Prozess dar. Im Vorfeld der für das dritte Quartal 2021 erwarteten endgültigen Vorschläge der Europäischen Kommission für Gesetzesänderungen gelte es, die Forderungen von Aufsichtsbehörden, Politik und Wirtschaft in Einklang zu bringen, so Invesco.
Während den Aufsichtsbehörden an einem risikosensitiveren Regime gelegen ist, wollen die politischen Entscheider das Regelwerk so anpassen, dass Anreize für langfristige und grüne Investitionen geschaffen werden. Unterdessen fordert die Versicherungsbranche, dass von einer deutlichen Verschärfung der Solvabilitätsanforderungen für Unternehmen abgesehen wird.
In einem Fachbeitrag mit dem Titel „How does EIOPA’s advice support long-term investing by the insurance industry?“ analysiert Elizabeth Gillam, Head of EU Government Relations and Public Policy bei Invesco, die im Dezember 2020 veröffentlichten technischen Empfehlungen von EIOPA an die Europäische Kommission. Insbesondere geht sie der Frage nach, wie die EIOPA-Stellungnahme zum angestrebten Aufbau einer Kapitalmarktunion beitragen soll und welche Rolle die Versicherungsbranche in der Finanzierung der Wirtschaft spielt.
Sie kommt dabei zu dem Schluss, dass die abschließenden Empfehlungen der EIOPA hinter den weitreichenderen Änderungen zurückbleiben, die für die Realisierung der angestrebten Kapitalmarktunion und damit für alle wichtigen wirtschaftspolitischen Ziele der EU nötig sind: die Erholung von der Covid-19-Pandemie, eine integrative und widerstandsfähige Wirtschaft, die allen zugutekommt, den Übergang zu einer digitalen und nachhaltigen Wirtschaft und eine „offene strategische Autonomie“ in einem zunehmend komplexen globalen Kontext.
„Das Erreichen dieser Ziele erfordert massive Investitionen, die mit öffentlichen Geldern und traditioneller Finanzierung durch Bankkredite allein nicht zu leisten sind“, stellt Gillam fest. Durch die Covid-19-Krise sei die Realisierung der Kapitalmarktunion zudem noch dringlicher geworden.
Wie sie anmerkt, hatte die Europäische Kommission die Rolle der Versicherungsunternehmen als langfristige Investoren im Rahmen der Kapitalmarktunion hervorgehoben. Erleichtert werden sollte diese vor allem durch Änderungen im Zuge des Solvency II Review. In ihrem Aktionsplan verpflichtete sich die Europäische Kommission dazu, „die Angemessenheit der Kriterien für die Anrechnungsfähigkeit langfristiger Beteiligungen, die Berechnung der Risikomarge und die Bewertung der Verbindlichkeiten von Versicherern zu prüfen, mit dem Ziel, sowohl unerwünschtes prozyklisches Verhalten zu vermeiden als auch der Langfristigkeit des Versicherungsgeschäfts besser Rechnung zu tragen.“
Um die Auswirkungen der EIOPA-Stellungnahme auf die langfristigen Investitionen zu bewerten, analysiert Gillam dazu die für das Investitionsverhalten der Investoren maßgeblichen Regelungen. Zum einen sind dies Maßnahmen, die die Bewertung von – insbesondere langfristigen – Verbindlichkeiten beeinflussen: die Extrapolationsmethode, die Matching-Anpassung, die Volatilitätsanpassung und die Risikomarge. Zweitens sind es Maßnahmen, die sich auf die Behandlung langfristiger Investitionen im Hinblick auf das regulatorische Eigenkapital auswirken: die langfristigen Kapitalanforderungen für das Aktienrisiko, das Spreadrisiko und die Volatilitätsanpassung.
Gillam kommt in ihrem Beitrag zu dem Schluss, dass sich die von EIOPA vorgeschlagenen Änderungen insgesamt leicht negativ auf die SCR-Quoten (Solvenzquoten) der Unternehmen auswirken und die Kapitalüberschüsse um 20 bis 45 Mrd. Euro reduzieren würden. Während insbesondere die Änderungen an der Volatilitätsanpassung und der Risikomarge bei der Bewertung langfristiger Verbindlichkeiten per Saldo positiv wirken dürften, könnten die Änderungen an der Extrapolationsmethode diese Vorteile wieder zunichtemachen. Für die Versicherer würden es die vorgeschlagenen Änderungen daher insgesamt schwerer – und nicht leichter – machen, die langfristigen Investitionen zu tätigen, die erforderlich sind, um die europäische Wirtschaft anzukurbeln und in Gang zu halten.
„Die EIOPA-Empfehlungen bleiben vielleicht hinter den weitreichenderen Änderungen zurück, die sich die Branche erhofft hat. Es darf aber auch nicht vergessen werden, dass die EIOPA in Bezug auf den Ausgang des Solvency II Review nicht das letzte Wort hat“, so betont Gillam. Es seien einige der bestehenden Maßnahmen – insbesondere diejenigen, die sich auf langfristige Investitionen beziehen, wie die langfristigen Aktien- und Infrastruktur-Risikomodule – von der Europäischen Kommission auf Druck des Europäischen Parlaments eingeführt wurden, in einigen Fällen gegen den Rat von EIOPA.
Vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Folgen der Covid-Krise und der politischen Prioritäten der Europäischen Kommission in Bezug auf eine nachhaltige wirtschaftliche Erholung, den Green Deal und die digitale Transformation glaubt Gillam, dass die Europäische Kommission die Aspekte von Solvency II, die die Kapitalmarktunion betreffen, deutlicher stärken könnte, als die EIOPA vorschlägt. In dieser Hinsicht erwartet sie, dass das aktuelle politische und wirtschaftliche Umfeld maßgeblich dazu beitragen wird, einige der belastenderen Anforderungen abzumildern, damit die Versicherungsindustrie einen größeren Beitrag zur Stärkung der wirtschaftlichen Erholung leisten kann.
Den vollständigen Beitrag von Elizabeth Gillam finden Sie unten als PDF zum Download angefügt.