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Kommentar: Eine dritte Möglichkeit für die Inflationsentwicklung?

Anleger, die sich Gedanken über die Inflationsentwicklung machen, sind in zwei Lager gespalten: diejenigen, die der Meinung sind, dass die Inflation nur vorübergehend steigen und nach einigen Monaten wieder fallen wird; und diejenigen, die künftig von einer dauerhaften strukturellen Verschiebung in Richtung einer höheren, ungesunden Inflation ausgehen. Die meisten bedenken nicht, dass es zwischen diesen beiden Möglichkeiten auch noch eine dritte gibt, die genau dazwischen liegt, nämlich, dass die Inflation bis über das Jahresende hinaus anhalten wird, aber letztendlich auf ein anlegerfreundliches reflationäres Umfeld hinauslaufen wird.

Michael J. Kelly, CFA

Lassen Sie uns einen Blick auf die pessimistische Einschätzung werfen. Welche Faktoren könnten zu einer dauerhaft hohen und ungesunden Inflation führen? In der Vergangenheit hat es Jahre gedauert, um eine derart problematische Inflation wieder in den Griff zu bekommen. Heute könnte das Problem an der Wurzel gepackt werden, wenn die moderne Geldtheorie (Modern Monetary Theory, MMT) strukturell in den Politikmix eingebunden würde, anstatt nur in Krisenzeiten herangezogen zu werden.

Aus geldpolitischer Sicht wird darauf hingewiesen, dass es keine Anzeichen für eine offenkundige Kontrolle der Renditen von der Fed gibt, die nichts unternahm, als die Renditen auf 10-jährige US-Treasuries erst 1,25%, dann 1,50% und schließlich 1,75% durchbrachen. Da die Fed erwägt, ihr quantitatives Lockerungsprogramm (Quantitative Easing, QE) gegen Ende dieses Jahres zu drosseln und 2022 zu beenden, dürfte ihre Bilanz im Einklang mit dem nominalen BIP wachsen. Bis zur Beendigung der quantitativen Lockerung wird sie seit März 2009 um 6,5 Bio. US-Dollar mehr als das nominale BIP gewachsen sein. Diese zusätzlichen Bestände schaffen eine dauerhafte künstliche Nachfrage nach US-Treasuries im Vergleich zum Angebot und werden neben den Faktoren Verschuldung, Demografie und Technologie ein vierter Faktor sein, der dazu beiträgt, die Zinsen niedrig zu halten. Die Fed scheint noch einige Zeit darauf zu bauen.

Die Europäische Zentralbank (EZB) und die Bank of Japan (BOJ) werden ihre krisenorientierten Maßnahmen ein oder zwei Jahre später beenden, sollte die US-Renditekurve auf sehr niedrigen Niveaus verankert bleiben, da die Fed ihre QE-Anleihebestände nicht mehr erhöht.

Auf fiskalpolitischer Ebene ergreifen nur die USA ausreichend konsequente Maßnahmen, um die Inflation möglicherweise anzuheizen. Voraussetzung dafür ist, dass die Demokraten bei den US-Zwischenwahlen 2022 die Mehrheit im Kongress behalten werden. Die Bundestagswahl im September kann zu weiteren fiskalischen Anreizen führen, falls eine Koalitionsregierung mit den Grünen mehr für Klimaschutzinitiativen ausgeben sollte. Wenn Merkel abtritt, könnten sich Draghi und Macron für einen ausgewogeneren Europäischen Fiskalpakt mit weniger Sparmaßnahmen und mehr steuerlicher Relevanz einsetzen.

Selbst wenn dies verwirklicht wird, wird Chinas anhaltende Entschuldung die fiskalischen Maßnahmen in anderen Ländern größtenteils ausgleichen. Allgemein deutet das fiskalische und geldpolitische Umfeld darauf hin, dass die Inflation nicht allzu stark steigen dürfte und auf Niveaus bleiben wird, die den heutigen Bullenmarkt beenden würden.

Was ist mit der Einschätzung, dass die Inflation nur vorübergehend sein wird? Die Zentralbanken und Märkte scheinen davon auszugehen, dass sich die meisten Angebotsstaus aus einigen handfesten Gründen im vierten Quartal auflösen werden. In den USA zählen Änderungen des Lebensstils, durch Schulschließungen verursachte Kinderbetreuungsprobleme und anhaltende krisenorientierte Arbeitslosenunterstützung zu den Gründen, aus denen Menschen eine Rückkehr in das Arbeitsleben aufschieben. Engpässe auf dem Arbeitsmarkt dürften sich auflösen, wenn die Schulen wieder öffnen und die Leistungen auslaufen.

Der langsame Anstieg asiatischer Exporte ist ein weiteres Zeichen dafür, dass sich die Engpässe bei der US-Produktionstätigkeit auflösen. Allerdings weiß jeder, der schon einmal eine Wiedereröffnung eines Werks nach einer längeren Schließung mitgemacht hat, welch mühsamer Prozess es ist, die offensichtlichsten Engpässe zu identifizieren und zu beseitigen, nur um anschließend neue zu entdecken. Der Prozess könnte durchaus länger dauern als erwartet.

Zusammengenommen legen die Umstände nahe, dass der reflationäre „dritte Weg“ wahrscheinlicher ist als ein vorübergehender Anstieg mit anschließendem Rückgang der Inflation oder problematische langfristige Niveaus.

Während der Erholung von 2009 bis 2019 waren die Belastungen für private Investitionen und der finanzpolitische Druck so stark, dass die Schließung von Produktionslücken zehn Jahre dauerte. Dadurch blieb das Wachstum sehr schleppend und die Inflation unter den Zielen der Zentralbank. Diesmal verpflichten sich Regierungen und Unternehmen, Investitionen zu tätigen, um der Nachfrage nach Wohnimmobilien Rechnung zu tragen und um Schwachstellen bei den Geschäftsmodellen, die durch die Pandemie zutage getreten sind, zu beseitigen. Die Ausgaben für den Klimaschutz werden ebenfalls steigen. Alles in allem dürfte die Welt die Produktionslücke in nur wenigen Jahren überwunden haben, was niedrigere Löhne und höhere Gewinne zur Folge haben wird.

Während die Reflation anlegerfreundlich ist, liegt die lukrativste Phase des Konjunkturzyklus für die Märkte, in der das Wachstum am stärksten ist, möglicherweise bereits hinter uns. Das US-Wirtschaftswachstum scheint seinen Höhepunkt erreicht zu haben, während China Anzeichen einer Verlangsamung aufweist. Die Weltwirtschaft und die Fundamentaldaten werden jedoch wahrscheinlich schneller steigen als in dem Zeitraum von 2009 bis 2019.

In diesem Umfeld dürfte das Eingehen von Risiken immer noch belohnt werden, wenn auch in geringerem Umfang. Während eine aggressivere Portfoliopositionierung von Mai 2020 bis vor Kurzem möglicherweise gerechtfertigt gewesen wäre, scheint es jetzt vernünftig, das Risiko zu reduzieren.

Das heißt nicht, dass es keine Lichtblicke gibt. Europäische und japanische Aktien sind attraktiv, da immer mehr Volkswirtschaften wieder öffnen. Diese Anlageklassen haben gegenüber globalen Wachstumstiteln attraktive Bewertungen mit einem hohen Beta. Chancen sind auch bei Unternehmensanleihen zu finden, die sich bei einem langsameren, aber immer noch positiven Wachstum in der Regel positiv entwickeln. Während die Wachstumsdifferenzen in der Vergangenheit zugunsten von Schwellenländeraktien abnehmen dürften, sind Unternehmensanleihen aus Schwellenländern besonders attraktiv. Defensive Aktien sind dagegen weniger attraktiv.

Die Märkte dürften in der zweiten Jahreshälfte 2021, wenn die Inflation entweder auf ihr früheres „zu geringes“ Niveau zurückgeht, auf ein „zu hohes“ Niveau ansteigt oder in eine Reflationsphase mit einem „genau richtigen“ Niveau eintritt, mehr Klarheit erhalten.

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*) Michael J. Kelly, CFA, ist Global Head of Multi-Asset bei PineBridge Investments