Die Schuldenquoten der Staaten haben sich unter dem Einfluss des „Inflationszaubers“ etwas entspannt. Die Verschnaufpause ist jedoch von kurzer Dauer. Denn die Kosten steigen verzögert an und entpuppen den vermeintlichen Spielraum im Haushalt als Illusion. Mit fiskalischer Großzügigkeit soll die Wirtschaft beflügelt werden. Allerdings mit wenig Aussicht auf Erfolg, jedoch auf Kosten der Sparer, Steuerzahler sowie zukünftiger Generationen. Der inflationäre Druck bleibt hoch, während die restriktive Geldpolitik nur langsam ihre Wirkung entfaltet. Fiskal- und Geldpolitik arbeiten zunehmend gegeneinander: Die Schwergewichte USA und China gehen mit schlechtem Beispiel voran und treiben die Schulden weiter in die Höhe. Und in Europa verlagern sich die Probleme in den Kern und in den Osten.
Eine positive Ratingdynamik ist in der europäischen Peripherie, mit Ausnahme Italiens, zu erkennen. Dies zeigt, dass Fiskaldisziplin langfristig zum Erfolg führt. Eine Verdüsterung der Bonitäts-Aussichten attestieren wir den großen Volkswirtschaften Deutschland und Großbritannien. Ausgewählte Schwellenländer in Südamerika und Asien bieten dank proaktiver Notenbankpolitik interessante Alternativen für Investoren. Die hohe Verschuldung von Staaten, Unternehmen und Haushalten stellt weiterhin die Achillesferse der Länderbonität dar. Es zeigt sich auch, dass das höhere Zinsniveau nur langsam den Weg ins System findet, aber zunehmend Mittel absorbiert und zu weniger Konsum, Investitionen, sinkenden Margen sowie steigenden Ausfällen führen wird. Wir erwarten in der Folge weitere Rating-Downgrades und ein Wiederaufflammen der Diskussion um die Nachhaltigkeit der vielerorts überhöhten Staatsverschuldung.
Quelle: IMF, I-CV, 2023
Deutschland verliert Bestnote, Schweiz & Österreich bleiben gleich geratet
Die I-CV Länderstudie 2023 vergibt bei 49 untersuchten Volkswirtschaften sechs Mal die höchste Einstufung Triple-A. Mit Dänemark, Norwegen und Schweden sind wieder drei skandinavische Staaten darunter, die wie die Schweiz, Singapur und die Niederlande AAA geratet sind. Deutschland dagegen verliert die Bestnote, während Österreich unverändert mit AA eingestuft wird.
Deutschland wird momentan von den Medien gerne als „kranker Mann Europas“ bezeichnet. Auch wir erwarten eine anhaltende Schwächephase und einen zähen Reformverlauf, was in einer graduellen Abschwächung der Kreditkennzahlen resultiert. Folgerichtig gehört Deutschland zurzeit nicht mehr zum elitären AAA-Kreis. In der diesjährigen Studie gibt es neben Deutschland auch für Großbritannien und Ungarn Downgrades. Demgegenüber stehen vier Upgrades für Griechenland, Irland, Island und Portugal.
Staatsanleihen attraktiv wie lange nicht mehr
Für Anleiheninvestoren bleibt das wirtschaftliche und geopolitische Umfeld herausfordernd. Sie sollten sich bewusst sein, dass der Kampf gegen die Inflation noch nicht vorbei ist („higher for longer“) und die Notenbanken verlorenes Vertrauen zurückerobern müssen. Lose Fiskalpolitik sowie Deglobalisierung (Near- & Friendshoring) verstärken den Inflationstrend. Die Transmission der Geldpolitik auf die Realwirtschaft dauert länger als angenommen und wird schmerzhafte Einschnitte erfordern. Zudem erschwert die hohe Verschuldung bei Staaten, Unternehmen sowie Haushalten die Schuldendienstfähigkeit und Tragbarkeit.
Durch den starken Zinsanstieg haben die lang verschmähten Staatsanleihen gegenüber den Aktien wieder an Attraktivität gewonnen. Beispielsweise erreichten die Renditen von US-Treasuries und niederländischen Staatspapieren aktuell ein 15- beziehungsweise 11-Jahreshoch. In den USA bewegt sich die zehnjährige Treasury Rendite über der Gewinnrendite der Aktien (S&P 500), was in den letzten 20 Jahren nur in der Finanzkrise vorkam. Wir empfehlen Anleihen von Staaten mit Fiskaldisziplin und positivem Schuldentrend (zum Beispiel Niederlande, Irland oder Dänemark) und in der EU-Peripherie bevorzugen wir Spanien. Schwellenländer zeigen sich proaktiver und abgeklärter bei der Bekämpfung der Inflation als Industrienationen, hier favorisieren wir Staaten aus Südamerika (Peru und Chile) und Asien (Indonesien und die Philippinen) – raten jedoch zur Vorsicht bei Staaten mit hohem China Exportanteil.
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*) René Hermann ist Head of Research & Senior Partner bei Independent Credit View (I-CV). I-CV ist seit 2003 als unabhängiges Schweizer Bonitäts- und Research Unternehmen mit Sitz in Zürich für professionelle Investoren tätig.