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Kommentar: Schwellenländeranleihen haben einen langen Atem

Auch wenn der US-Renditeanstieg zuletzt eine Belastung für Schwellenländeranleihen war und die Kurse gedrückt hat, können Investoren in diesem Marktsegment weiterhin interessante Chancen finden. Hauptgrund ist die Aussicht auf eine Erholung der Weltwirtschaft bei zunehmenden Impfungen. Davon könnten insbesondere die Anleihen von konjunktursensitiven Ländern profitieren.

Peter Becker

Wer joggt, kennt die Situation vermutlich. Legt man bei einem Langlauf einen Zwischenspurt ein, kommt man schnell außer Atem. Übertragen auf die Finanzmärkte, fragen sich viele Investoren, ob den Schwellenländeranleihen nach dem Kursanstieg in der Erholungsphase im letzten Jahr die Puste ausgeht – zumal die Kurse von Schwellenländeranleihen in den vergangenen Wochen nachgegeben haben, nicht zuletzt aufgrund des Drucks durch den US-Renditeanstieg.

Eine Baisse dürfte jedoch mittelfristig unwahrscheinlich sein, auch wenn der Markt sich seit Jahresanfang von der volatilen Seite zeigt. Denn noch immer gibt es Chancen in einer ganzen Reihe von Marktsegmenten. Die Gründe für die optimistische Einschätzung: Für Schwellenländeranleihen sprechen insbesondere der gute Ausblick für die Weltwirtschaft für dieses Jahr – und damit verbunden auch die Aussicht auf eine bessere Kreditqualität konjunktursensitiver Länder. Hinzu kommen die attraktiven Bewertungen von Emerging-Market-Währungen, höher verzinslichen Hartwährungstiteln und ausgewählten Lokalwährungspapieren.

Die Rahmenbedingungen dürften Schwellenländeranleihen folglich weiterhin unterstützen. Da das Ende der Covid-19-Pandemie angesichts der zunehmenden Zahl an Impfungen mittlerweile absehbar erscheint, gibt es auch die begründete Hoffnung, dass sich die Weltwirtschaft deutlich erholen wird. Keine Frage – die Pandemie ist schmerzhaft und schwierig und fordert unfassbar viele Menschleben. Aber aus volkswirtschaftlicher Sicht hat sie weniger Kapital zerstört als frühere Krisen – und auch das Finanzsystem hat weiterhin funktioniert. Das gilt nicht zuletzt für die USA. Sie spielen eine wesentliche Rolle bei der Erholung der Weltwirtschaft. Schon aufgrund der Größe der Volkswirtschaft und auch weil die USA weiterhin ein großes Leistungsbilanzdefizit in Kauf nehmen, dürften sie entscheidend zum weltweiten Wachstum beitragen. Und das könnte durchaus beträchtlich ausfallen. In seinem Ausblick für die Weltwirtschaft für 2021 von Ende Januar dieses Jahres geht der Internationale Währungsfonds (IWF) zum Beispiel von einem weltweiten Wachstum von insgesamt 5,5% aus. Zum Vergleich: Im vergangenen Jahr ist die Weltwirtschaft nach Daten des IWF um 3,5% geschrumpft. In den USA dürfte das Wirtschaftswachstum laut IWF nach einem Minus von 3,4% in 2020 in diesem Jahr 5,1% betragen. Die Emerging Markets wiederum könnten demnach in diesem Jahr sogar um 6,3% wachsen – nach einem Minus von 2,4% in 2020.

Der optimistische Ausblick für die Weltwirtschaft mit den USA als Wachstumsmotor ist vor allem positiv für Anleihen von Emerging Markets, die stark von der Konjunktur abhängig sind. In diesen Schwellenländern sorgt das Wachstum für steigende Einkommen. Die Folge: Die Staatsfinanzen stabilisieren sich – und das Risiko, dass es zu Zahlungsbilanzkrisen kommen könnte, sinkt. Wenn sich der Welthandel wieder erholt, dürften insbesondere exportorientierte Länder, und darunter vor allem diejenigen mit einem großen Anteil an der Güterproduktion, große Fortschritte machen. Zurückhaltung kann hingegen bei Ländern sinnvoll sein, die stark vom Tourismus abhängen. Zwar ist davon auszugehen, dass die Menschen nach der Corona-Krise wieder reisen wollen – und hier hat sich sicherlich auch ein gewisses Nachholpotenzial aufgebaut. Doch die Erholung könnte Zeit brauchen – und bis das Coronavirus wirklich eingedämmt ist und Reisen wieder unbeschwerter möglich ist, könnte es immer wieder zu Restriktionen kommen.

Die konjunktursensitiven Länder hingegen bieten aufgrund der steigenden Kreditqualität echte Chancen. Um diese zu nutzen, kommen zum Beispiel höherverzinsliche US-Dollar-Titel in Frage. Investoren sollten dabei allerdings bedenken, dass sich der Markt für US-Dollar-Anleihen derzeit als zweigeteilt erweist. Investmentgrade-Titel haben meist eine längere Duration. Sie reagieren auf die US-Renditen und haben sehr enge Spreads. Diese Titel scheinen im Moment teuer. Deshalb bieten sie kaum wirkliche Chancen. Hingegen sind die High-Yield-Spreads im Verhältnis zu den Investmentgrade-Spreads zurzeit hoch wie selten. Höher verzinsliche US-Dollar-Anleihen scheinen daher recht interessant, zumal sie auch eine kürzere Duration haben und deshalb weniger stark auf Renditeänderungen in den USA reagieren. Unter dem Strich sind hochverzinsliche Schwellenländeranleihen, die in US-Dollar denominiert sind, das konjunktursensitivste Marktsegment. Entsprechend stark können sie von einer Reflation profitieren.

Lohnt es sich, dabei auch Unternehmensanleihen aus Schwellenländern in den Fokus zu nehmen? Ja und nein. Unternehmensanleihen erscheinen nach ihren zuletzt enormen Gewinnen auf den ersten Blick als weniger attraktiv. Sie eignen sich jedoch noch immer zur Diversifikation. Vor allem bei kürzeren Durationen bieten sie einen gewissen Renditevorsprung gegenüber laufzeitgleichen Staatsanleihen.

Interessante Anlagemöglichkeiten gibt es aber insbesondere im Lokalwährungsbereich. Investoren können hier vom Zinsvorsprung profitieren. Bei Lokalwährungsanleihen lohnt sich eine längere Duration im Vergleich zu Hartwährungstiteln, vor allem bei Ländern mit Leistungsbilanzüberschüssen. Für Anleger kann sich hier zum Beispiel ein Blick auf länger laufende Titel aus China und Malaysia lohnen. In Ländern, in denen neben dem Zinsvorsprung auch die Währung attraktiv ist, die Inflationserwartungen aber Sorgen bereiten können, kommen auch inflationsindexierte Titel oder eine sehr kurze Duration infrage. Das gilt zum Beispiel für Brasilien und die Türkei. Deren Währungen sind derzeit unterbewertet.

In jedem Fall sollten Investoren, die in Schwellenländeranleihen investieren, die Entwicklung des US-Dollars im Blick haben. Zwar könnte der US-Dollar an Stärke gewinnen, wenn die Finanzbedingungen in den USA unerwartet schnell straffer werden. Aber im Basisszenario von Capital Group bleibt der US-Dollar schwach. Zum Hintergrund: Hatte der US-Dollar zu Beginn der Corona-Krise gegenüber fast allen Währungen deutlich zugelegt, hat sich das im vergangenen Jahr umgedreht, seitdem es Hoffnung auf einen Impfstoff gab. Bis Ende des vergangenen Jahres hatte der US-Dollar deutlich nachgegeben. Das hängt zum einen mit der Hoffnung zusammen, dass sich die Weltwirtschaft mit zunehmenden Corona-Impfungen erholt – und zum anderen mit der Annahme, dass Anleger dann wieder verstärkt in Aktien und Anleihen außerhalb der USA investieren.

Fazit
Die Emerging-Market-Währungen sind attraktiv, weil sie sich vom Ausverkauf im vergangenen Jahr bislang nur zum Teil erholt haben. Aber es gibt Bewertungsunterschiede. Vor allem die Währungen von Ländern mit Leistungsbilanzüberschüssen sind überbewertet. Wie sich deren Wechselkurse weiterentwickeln werden, hängt vor allem vom US-Dollar ab. Auf der anderen Seite gibt es Währungen mit hohen länderspezifischen Risiken, denen ein schwacher Dollar natürlich mehr hilft. So oder so: Die dazugehörigen Anleihen bieten entweder einen großen Zinsvorsprung oder steile Zinsstrukturkurven – oder sie sind einfach nur sehr günstig bewertet. Es sieht also nicht danach aus, als würde Schwellenländeranleihen nach dem Spurt im letzten Jahr die Puste ausgehen. Im Gegenteil. Sie scheinen für dieses Jahr noch einen langen Atem zu haben.

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*) Peter Becker, Fixed Income Investment Director bei Capital Group