Seit der Finanzkrise von 2008 haben die Zentralbanken unermüdlich Geld in das Finanzsystem gepumpt und damit die Zinssätze nach unten getrieben. An dieser Politik dürfte sich angesichts des zuletzt weltweit schwachen Konjunkturausblicks zunächst wenig ändern. Für eine mögliche Umschichtung des Depots weg von Wachstumstiteln hin zu Value-Aktien kann die Zentralbankenpolitik also kaum als Erklärung herangezogen werden.
Warum sollten wir also annehmen, dass Value-Aktien ein langfristiges Aufwärtspotenzial haben?
Hierfür lohnt sich ein Blick auf die Fundamentaldaten und die erwartete Entwicklung bei den Unternehmen. Bei den deutschen Produzenten sieht es da aktuell alles andere als rosig aus. Der Einkaufsmanagerindex für die deutsche Industrie von Oktober mit 41,9 Punkten signalisiert weiterhin eine schwache Wachstumsdynamik.
Es scheint, dass das produzierende Gewerbe in Deutschland, vor allem die Autoindustrie, ein erstes Opfer des amerikanisch-chinesischen Handelskonflikts ist. Könnten die deutschen Hersteller also etwas übersehen haben, was die Investoren positiv stimmt?
Dies könnte der Fall sein. Zwei Faktoren könnten den Investorenappetit erklären: erstens wendet sich die deutsche Regierung zum ersten Mal von ihrer Austerität ab und erwägt eine leichte steuerliche Stimulierung. Mario Draghi hat dies stark befürwortet und gesagt, dass „Staaten, die noch Raum für Manöver haben, schnell handeln sollten“.
Der zweite Faktor sind die Wahlen in den USA. Auch wenn jeder akzeptiert, dass Donald Trump manchmal unberechenbar ist, gibt es zwei Dinge, die immer im Vordergrund seines Denkens stehen: der Stand des S&P 500 Index und seine Beliebtheit in den Meinungsumfragen. Während die Wähler den Handelskrieg zunächst begrüßten, ändert sich diese Haltung, da die Auswirkungen auf das Inlandsgeschäft spürbar werden und der Einzelne unter den erhöhten Zöllen zu leiden beginnt.
Die Erzielung von Zugeständnissen beim hartnäckigen Xi Jinping erweist sich plötzlich als schwieriger und auch teurer… Was die Märkte betrifft, so reagieren sie immer negativ auf die wütenden Tweets von Donald Trump, und wie das Szenario dieses Sommers bestätigt, scheint er seine Drohungen immer abzuschwächen, sobald der Rückgang des S&P über 5% liegt.
Der Anstieg der Value-Aktien ist daher wahrscheinlich eine direkte Wette, dass die durch den Handelskrieg in den vergangenen Monaten verursachte wirtschaftliche Verlangsamung allmählich zu Ende geht. Dies würde bedeuten, dass sich die Wirtschaft und insbesondere das verarbeitende Gewerbe auf dem Weg der Erholung befinden, was zu einem erheblichen Aufwärtspotenzial für Value-Aktien führen würde, selbst wenn es nur zu einer leichten Belebung der Wirtschaftstätigkeit kommt.
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*) Marc Craquelin ist Senior Adviser und Non-Executive Director beim britischen Vermögensverwalter Ei Sturdza.