Wer erinnert sich noch an die Schockwellen, die Anfang des Jahres durch das globale Bankensystem rauschten? Die Pleite der Silicon Valley Bank sorgte bei vielen Finanzmarktakteuren für Unwohlsein. Könnte es zu einer Wiederholung der Bankenkrise wie im Jahr 2008 kommen? Diese Fragestellung sorgte nicht nur bei den Finanzaufsichten für Unruhe. Die Regulierer griffen beherzt ein, um alle Zweifel an der Finanzmarkstabilität aus dem Weg zu räumen – nicht immer zur Begeisterung aller Beteiligten, wie bspw. bei der Zwangsübernahme der Credit Suisse durch die UBS. Doch so ganz ließ sich die Besorgnis vieler Anleger damit offensichtlich nicht beseitigen. Und während die anhaltend straffe Geldpolitik auch am Immobilienmarkt für spürbare Verwerfungen sorgte, stiegen anderer vermeintlich sicherer Häfen in der Gunst der Anleger – und mit ihnen deren Kurse. Neben Gold erlebte auch der Bitcoin im März sein Frühlingserwachen und festigte so seinen Ruf als digitale Krisenwährung.
Traditioneller Finanzmarkt als doppelter Kurstreiber
Der Bitcoin profitiere aber nicht nur von der Entkopplung vom traditionellen Finanzmarkt. Denn gleichzeitig steigt die Adaption der Kryptowährungen und der ihr zugrundeliegenden Blockchain in eben jenem Finanzsektor. Sichtbarstes Zeichen und einer der wichtigsten Kurstreiber war im Juni der Antrag des weltgrößten Assetmanagers BlackRock auf die Zulassung eines Spot-Bitcoin-ETF. Seitdem beherrscht dieses Thema die Fantasie der Bitcoin-Community wie kaum ein anderes und jede Verlautbarung der SEC in Zusammenhang mit der ausstehenden Genehmigung von 16 Produkten unterschiedlicher Anbieter in den USA wird mit einer solchen Inbrunst verfolgt und interpretiert, wie einstweilen die Auftritte der Notenbank-Legende Alan Greenspan, dem Analysten der Dicke seiner Aktentasche und der Betonung einzelner Silben in seinen Reden höhere Bedeutung zuzuweisen wussten.
Indes konnten nicht alle Kryptowährungen im gleichen Maße von den Kurstreibern profitieren. Mit Ausnahme von Solana („SOL“, Kursplus rund 350%) wies die breite Masse der Altcoins gegenüber dem Bitcoin eine deutliche Underperfomance auf. Bei Solana gab es einen Sonderfaktor: 2022 war der Coin mit über 90% im Minus und damit eines der schwächsten Kryptoassets – einer der Gründe war, dass die Pleite-Plattform FTX zu den Hauptinvestoren gehörte. Der starke Anstieg ist also einerseits auf einen Nachholeffekt zurückzuführen. Operativ läuft es bei Solana indes ebenfalls gut. Zuletzt haben sich insbesondere die Fundamentaldaten des Netzwerks deutlich erholt. Hier hervorzuheben sind vor allem der signifikante Anstieg der täglichen Nutzer sowie die steigenden Transaktionsvolumina.
Welche Auswirkungen hat eine US-Rezession auf Kryptowerte?
Was spricht dafür, dass sich der Aufwärtstrend bei Bitcoin 2024 fortsetzen könnte und auch die Breite des Kryptomarktes erfasst – und was dagegen? Wichtigster makroökonomischer Faktor für das kommende Jahr ist aus unserer Sicht das Wirtschaftswachstum in den USA. Am Kapitalmarkt setzt sich aktuell die Meinung durch, dass für das kommende Jahr eine Rezession zu erwarten ist. Wir sehen dafür gute Gründe: Die Sahm-Regel¹ und zyklische Sektoren wie Truck Transportation oder Durable Goods Manufacturing zeigen bereits Schwäche in der Beschäftigung. In der Vergangenheit waren das zuverlässige Frühindikatoren für einen wirtschaftlichen Abschwung.
Ein negatives Wachstum belastet zunächst die Kursentwicklung der Kryptos. Die risikoreichen und liquiden Assets stehen bei Anlegern in einer Rezession naturgemäß recht weit oben auf den Verkaufslisten.
Allerdings könnte der rezessionsinduzierte Nachfragerückgang durch andere Faktoren kompensiert werden. Hier wäre in erster Linie die im Falle steigender Arbeitslosenzahlen zu erwartende Zinswende zu nennen. Diese dürfte wiederum zu einer Schwächung des US-Dollars führen. Beides sind Determinanten, die sich auf die Kursentwicklung von Bitcoin & Co. positiv auswirken.
Auch geopolitische Risiken sorgten in der Vergangenheit für eine höhere Nachfrage nach Bitcoin (Stichwort: Krisenwährung). Und leider sieht es momentan nicht danach aus, als ob die Zahl der globalen Krisenherde im kommenden Jahr abnehmen würde. Aber reicht das schon, für einen deutlichen Kursanstieg bei den digitalen Währungen?
Halving wird das Bitcoin-Event des Jahres 2024
Dass es mit den Kryptos im kommenden Jahr wieder steil nach oben gehen könnte, dafür sprechen nicht zuletzt sektorspezifische Faktoren. Am Kapitalmarkt findet die mögliche Zulassung von Krypto-ETFs in den USA die größte Aufmerksamkeit. Der Markt bepreist die Wahrscheinlichkeit der Zulassung, die bereits am 10. Januar erfolgen könnte, mit ca. 92% – das ist an der Verkleinerung des sogenannten „Grayscale Gaps“ abzulesen. Der größte Bitcoin Trust „GBTC“ wird mit einem Discount zum Nettoinventarwert gehandelt, der sich seit Jahresbeginn von 48% auf nunmehr 8% verringert hat.
Auch Grayscale möchte den Trust in einen mit Bitcoin hinterlegten ETF umwandeln – dann würde sich die Lücke komplett schließen. Eine Produktgattung, die es in Europa mit den Krypto-ETPs quasi schon gibt – die nur anders heißen, weil im Gegensatz zu Fonds nur ein Asset hinterlegt ist. Neben Grayscale warten auch so bedeutende Asset Management Adressen wie BlackRock (iShares), Fidelity oder Franklin Templeton auf grünes Licht der SEC für ihre Bitcoin-Produkte. Wird dieses erteilt, dürften die Kryptos endgültig im Mainstream angekommen sein. Wenn nur 20% der US-ETF-Anleger ein Prozent ihres Geldvermögens in Bitcoin mit einer dreiprozentigen Allokation anlegen, dann entspricht das einem zusätzlichen Nachfragevolumen von schätzungsweise 32 Mrd. US-Dollar – diese würde knapp einer Verdopplung der globalen Bitcoin Assets entsprechen.
Aber auch ohne den Segen der US-Börsenaufsicht dürfte es 2024 mächtigen Rückenwind für den Bitcoin-Kurs geben. Wichtigster – und bislang vor allem in der Kryptoszene vielbeachteter – Faktor ist dafür das für Ende April erwartete Bitcoin-Halving. An diesem Punkt wird die Entlohnung für das Minen von Bitcoin-Blocks halbiert. Das passiert alle 210.000 Blöcke, zuvor bereits in den Jahren 2012, 2016 und 2020. In all diesen Jahren zeigte BTC eine starke Performance – auch wenn 2020 aufgrund der Corona-Pandemie gesondert zu betrachten ist. Die Frequenz, mit der neue Coins in den Markt kommen, halbiert sich ab diesem Zeitpunkt. Der Verkaufsdruck sinkt entsprechend. Das ist auch der Grund, weshalb dieser Effekt vom Markt nur bedingt antizipiert werden kann. Der Mengeneffekt kann sich erst mit dem Halving einstellen und wird auch verzögert in den Markt eindringen.
Neue Höchstkurse im Visier
Auf Basis eines BAERM Modells² erwarten wir aufgrund des Halvings und weiterer Faktoren nächstes Jahr neue Allzeithochs bei Bitcoin über 68.000 US-Dollar und bis Ende des Jahres 2024 sogar knapp über 100.000 US-Dollar. Bitcoin und andere Kryptoassets könnten also auch im kommenden erneut zur besten Assetklasse zählen. Neben einem Kern-Investment in von BTC, sehen wir insbesondere Ethereum, Polygon und Solana als gute Zusätze für ein diversifiziertes Kryptoportfolio.
¹Laut Sahm-Regel deutet es auf den Beginn einer Rezession hin, wenn der gleitende Drei-Monats-Durchschnitt der US-Arbeitslosenquote (U3) vom Tiefststand der vorangegangenen zwölf Monate um mindestens 0,50 Prozentpunkte steigt
²BAERM = „Bitcoin Auto-Correlated Exchange Rate Model” berücksichtigt einerseits, dass Bitcoin’s Performance höchst auto-korreliert ist. Gleichzeitig berücksichtigt das Modell steigende Angebots-Knappheit durch die Halvings ebenso wie die Tatsache, dass der marginale Effekt dieser Halvings über die Zeit abnimmt.
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*) Dr. André Dragosch ist seit November 2023 das Head-of-Research der ETC Group, dem Anbieter von Krypto-Wertpapieren (ETPs) die Anlegern regulierten und effizienten Zugang zu den Anlagemöglichkeiten des Krypto- und Blockchain-Sektors ermöglichen. Zuvor war Dragosch bei namhaften Asset-Management-Adressen wie Union Investment, FERI oder Helaba Invest im Portfoliomanagement und Investment Research tätig.
Hinweis: Dr. André Dragosch spricht auch im Rahmen unseres IPE D.A.CH Webinars „Ausblick Krypto 2024” am 13. Dezember über den Ausblick für die Kryptowährungen. Mehr Informationen zum Webinar und eine Anmeldemöglichkeit finden Sie hier!