Hedgework: Herr Hilpold, was fasziniert Sie an Web 3.0 und dem Bereich der Digital Assets und worin sehen Sie hier Potenzial?
Hilpold: Mit Web 3.0 entwickelt sich das derzeitige Internet, so wie wir es kennen, weiter – von einem Internet der Informationen zu einem Internet der Werte (Internet of Values). Die Blockchain als Mosaikteilchen in dieser Entwicklung ermöglicht es, Daten und Zustände verteilt über das Internet in hunderten oder gar tausenden Datenbanken (Nodes) parallel zu speichern. Man könnte sich nun fragen, wie effizient es ist, die gleichen Daten redundant in so vielen Datenbanken gleichzeitig zu speichern. Aber die Logik, die damit einhergeht, ist der Umstand, dass man auf diese Weise das Element Vertrauen digital abbildet. Wenn nun ein bösartiger Teilnehmer versucht, in einer Datenbank Daten zu seinen Gunsten zu ändern, fällt dies all den anderen Teilnehmern auf, da die Datenbanken nicht synchron sind. Es braucht jetzt noch eines gemeinsamen Vorgehens, wie Daten und damit Zustände in der Datenbank geändert werden können und gleichzeitig von allen Teilnehmern am Netzwerk Konsensus darüber herrscht, dass dieser neue Zustand die richtige Abbildung der Realität ist. Dieses Mosaikteilchen nennt sich „Konsensusmechanismus“ oder „Konsensusprotokoll“. Bitcoin arbeitet mit Proof-of-Work – was sehr energieintensiv ist – und Ethereum befindet sich gerade im Merge von Proof-of-Work zu Proof-of-Stake. Die Kombination von Blockchain und „Konsensusmechanismus“ wiederum erlaubt es, die Rolle des zentralen Mittelsmannes obsolet zu machen. Künftig heißt es „Code is law“.
Hedgework: Was bedeutet das?
Hilpold: Dies bildet nun die Grundlage und nicht nur den Anwendungsfall einer digitalen Währung auf diesen Eckpfeilern dezentral und ohne Mittelsmann abzubilden, wie es im Jahr 2008 Satoshi Nakamoto mit Bitcoin getan hat, sondern im Grunde bildet es die Basis, Geschäftsmodelle künftig nicht mehr als zentrales Geschäftsmodell über die Etablierung einer Firma, sondern dezentral als Projekt auf der Blockchain abzubilden. Dies gilt in erster Linie für alle Geschäftsmodelle, welche ohnehin digitaler Natur sind, aber geht auch weit darüber hinaus. Das Beispiel „Helium – The People’s Network“ zeigt dies sehr illustrativ anhand der Dienstleistung eines Telekommunikationsanbieters auf. Die immense Power und das disruptive Potenzial, das in einer solchen Herangehensweise schlummert, sind dem Umstand geschuldet, dass es künftig keiner komplexen bürokratischen Entscheidungen mehr bedarf, um eingefahrene Prozesse zu verbessern oder neue ins Leben zu rufen. Wenn man im bestehenden Projekt – nehmen wir an Helium oder Ethereum – etwas verbessern möchte, entwickelt man einen Vorschlag und bringt diesen als sogenanntes „Improvement Proposal“ zur Diskussion und Abstimmung in der Community. Wenn man eine gänzlich neue Idee hat, startet man diese dezentral auf der Blockchain. Die Veränderungsgeschwindigkeit wird dadurch künftig nochmals exponentiell zunehmen.
Hedgework: Und wie kann man nun in derartige Entwicklungen investieren und daran partizipieren?
Hilpold: Grundsätzlich ist zu sagen, dass wir uns hier im Venture-Capital-Bereich bewegen, mit all seinen Chancen aber auch Risiken und der entsprechenden Komplexität. Anders als im klassischen Venture-Bereich ist es aber Privatinvestoren hier möglich, selbst sehr früh durch den Erwerb der entsprechenden Tokens auch in kleinen Beträgen entsprechendes Exposure zum jeweiligen Projekt aufzubauen. Dies erlaubt es dem technisch versierten und interessierten Investor am Ball zu bleiben. Fairerweise muss man aber auch eingestehen, dass es mittlerweile mehr als 30.000 derartige Projekte gibt und neben einem gewissen technischen und finanzwirtschaftlichen Verständnis auch eine ordentliche Portion Zeit notwendig ist, um die Opportunitäten zu analysieren und mit Hilfe der jeweiligen Kommunikationskanäle wie Discord, Medium, Telegram und Twitter auf dem Laufenden zu bleiben. Hier ist es ratsam, aktive Investment Manager einzubinden. Das Fondsspektrum reicht von aktiven Tradingfonds über systematische Trendfolger, Arbitrageuren bis hin zu Venture-Capital-Fonds.
Hedgework: Kommen wir zu den drei Projekten, welche Sie beispielhaft anlässlich des 193. Hedgeworks im Café Hauptwache vorgestellt haben. Können Sie hierzu ein paar Sätze sagen?
Hilpold: Gerne – ich habe diese drei Projekte bewusst illustrativ ausgewählt, um jeweils einen Vertreter eines gänzlich unterschiedlichen Bereichs – man könnte Sektor sagen – auszuwählen und damit aufzuzeigen, dass Crypto-Land viel mehr ist als nur Bitcoin oder der Anwendungsfall „Zahlungsverkehr“. Nehmen wir das Projekt „Helium – The People’s Network“. Zentrale Telekommunikationsanbieter wie die deutsche Telekom betreiben notorisch kapitalintensive Geschäftsmodelle. Nehmen Sie das Beispiel 5G, welches derzeit aktuell ist und stellvertretend herangezogen werden kann. Bevor die deutsche Telekom in der Breite zahlende Kunden und damit Einnahmen aus 5G erwirtschaften kann, muss Sie die entsprechenden Sendestationen flächendeckend aufbauen. Das kostet Geld und Zeit für Entwicklung, Montage und Wartung. Darüber hinaus die vielen Einsprüche, welche den Faktor Zeit und Kosten weiter strapazieren. Des Weiteren bedarf es eines Back-Offices, eines Vertriebs, Marketingausgaben, Rechnungsstellung, etc. Was, wenn man nun dieses Geschäftsmodell auf den Kopf stellen könnte?
Hedgework: Nämlich wie?
Hilpold: Was, wenn man die Bevölkerung zu Beteiligten machen könnte, eine Community bilden könnte? Was, wenn man sehr viele Leute dazu bewegen könnte, dass diese die entsprechenden Sendeeinheiten – genannt Helium Hotspot – kaufen und damit in Vorkasse gehen? Sich diese bei sich zu Hause oder im Büro aufstellen und auf diese Weise ein globales Netzwerk aufbauen? Was, wenn man einen Weg findet, einen Abrechnungsmechanismus zu implementieren, welcher komplett digitalisiert ist und daher nicht mal mehr ein Back-Office erfordert. Dann müsste man nur noch einen Weg finden, die Teilnehmer in diesem Netzwerk monetär zu intensivieren. Hier kommt der Helium Token als Kryptowährung ins Spiel. Für die Bereitstellung der Netzwerkinfrastruktur und dafür, dass man ein Risiko eingeht mit der Anschaffung der Hardware wird man in einem bestimmten Verhältnis mit dem Helium Token entlohnt. Im Gegenzug muss ein Nutzer des Netzwerks Helium Token erwerben, um die Dienstleistung in Anspruch zu nehmen. Der Token stellt somit eine Art Gebühr dar, für die Nutzung der Dienstleistung und er wird auf Protokollebene belastet.
Hedgework: Mit allgemeiner Bezahlfunktion?
Hilpold: Nein, das nicht – an dieser Stelle möchte ich gleich ein weit verbreitetes Missverständnis klarstellen. Der Helium Token ist nicht dazu gedacht, beim Bäcker nebenan Brötchen einzukaufen, das heißt, er stellt keine Währung im eigentlichen Sinne dar – er gehört in die Kategorie Nutzungstoken – wie übrigens mehr als 90% aller Kryptowährungen.
Hedgework: Wie steht es mit dem 2. Beispiel?
Hilpold: Das 2. Beispiel ist das Thema NFT – also Non-fungible Token – definitiv ein großes Hype-Thema in 2021 und auch noch aktuell. Ein Non-fungible Token ist ein kryptografisch eindeutiges, unteilbares, unersetzbares und überprüfbares Token, das einen bestimmten Gegenstand, sei er digital oder physisch, in einer Blockchain repräsentiert. Digitale Kunst ist ein möglicher Anwendungsfall. Bei dem von mir gezeigten spielerischen Anwendungsfall „NBA-Topshots“ handelt es sich um ein Projekt, dass ähnlich den aus unserer Kindheit bekannten Fußball-Stickern von Panini an die Sammelleidenschaft vieler anknüpft. Für die einen ist es eine weitere Möglichkeit, im Sinne des Merchandisings mit seinen Fans im erweiterten Kontakt zu stehen, für andere mag es die pure Aussicht auf den schnellen Gewinn sein, welche die Basis des Handels bildet. Die großen Umsatzzahlen im abgelaufenen Kalenderjahr zeigen – es gibt eine Nachfrage hierfür.
Hedgework: Ok, und drittens?
Hilpold: Das dritte Thema gehört der Kategorie Decentralized Finance (DeFi) an. AAVE stellt in diesem Zusammenhang eine dezentrale Bank dar, bei welcher die klassische Bankdienstleistung der Geldvermittlung im Sinne von verzinster Anlage auf der einen Seite und Kreditaufnahme gegen Zins auf der anderen Seite ohne zentralen Mittelsmann und damit ohne Gegenparteirisiko rein dezentral über Smart Contracts abgebildet wird. Das Gegenparteirisiko wird ersetzt durch ein Smart-Contract-Risiko.
Hedgework: Danke dafür – und haben Sie vielleicht noch einen Ausblick, welche Entwicklungen und Projekte sich bereits am Horizont abzeichnen?
Hilpold: Die Entwicklung geht weiter und wie anfangs aufgeführt, ist dies im Bereich Crypto besonders dynamisch zu erwarten. Zwei weitere Bereiche sehe ich aktuell am Horizont als mögliche Anwendungsfelder mit viel Potenzial. Zum einen sind das DAOs – Decentralized Autonomous Organizations. Das heiß, Governance-Strukturen, welche ihre Mitbestimmungsstruktur ebenfalls komplett auf die Blockchain übertragen und damit die Frage, wer was zu sagen hat, vordefinierten Regeln unterwirft. Mir ist beispielsweise ein in Singapore ansässiger Blockchain-Venture-Fonds bekannt, welcher jüngst seinen General Partner in eine DAO überführt hat. Das heißt, die Management Fees fließen künftig der DAO zu und die anschließende Verteilung der Fees erfolgt transparent und regelbasiert. Wenn jemand beispielsweise ein interessantes Projekt im Cryptobereich sieht und dieses dem Portfoliomanagement-Team vorstellt und es zu einem Investment kommt, wird derjenige für das Auffinden durch entsprechende GP Token intensiviert. Das gleiche gilt für viele weitere Teilfunktionen, welche einen General Partner als Ganzes definieren.
Hedgework: Was folgt da noch?
Hilpold: Einen weiteren spannenden Bereich mit viel Potenzial sehe ich künftig im Bereich Social Communities und Social Media in dezentralisierter Art und Weise. Man denke an ein dezentralisiertes Facebook, bei welchem nicht Mark Zuckerberg darüber bestimmt, an wen er meine Daten verkauft, sondern an eine dezentrale Version hiervon, bei welcher jeder einzelne Nutzer bestimmen kann, was mit seinen Daten geschieht. Own your own data! Nehmen Sie die Community der ganzen Hobby- und Profisportler. Wenn ich heute laufen gehe, tracke ich meinen Lauf mit einer Sportuhr. Diese Daten sind aber viel mehr als nur die Messung, wie schnell und wie weit ich unterwegs war. Es werden auch Gesundheitsdaten wie Puls, Temperatur, Herzfrequenzvariabilität, etc. gemessen. In einem nächsten Schritt ist es möglich, die Uhr mittels einer App mit einem Service, genannt Strava, zu verbinden. Hier kommuniziert man mit Gleichgesinnten in einer Art Facebook für Sportbegeisterte. Was, wenn diese Daten nun auch dezentral via Blockchain erfasst werden und auf diese Weise eine Community zwecks dezentralem Austausch gebildet würde? Was, wenn man mit diesen Daten auch gleich noch einen Datenmarktplatz aufbaut, bei welchem jedes Community-Mitglied entscheiden kann, wem er zu welchem Preis seine Daten zur Verfügung stellt? Zum Bespiel an Research-Institute, welche wissenschaftliche Untersuchungen auf einer Vielzahl von Datensätzen und Zeitreihen anstellen möchten, oder Krankenversicherungen, welche entsprechende Rabattmodelle entwickeln möchten. Und wieder gilt: „Own your own data!“
Hedgework: Ihr Fazit?
Hilpold: Hier werden sich noch viele spannende Dinge entwickeln, von denen die meisten – Stand heute – noch nicht einmal in den Köpfen der Menschen gedacht sind. Dieses Potenzial und diese Dynamik begeistern mich.
Hedgework: Besten Dank für diese Einblicke.
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Claus Hilpold, CFA, CAIA, ist Senior Advisor bei der L1 Digital AG. Im Jahr 2008 gründete er die POLARIS Investment Advisory AG in Zürich, ein spezialisiertes Vertriebsunternehmen für alternative Anlageformen an institutionelle Investoren in ganz Europa. Zuvor war er zuständig für das Business Development in Deutschland und Österreich bei Harcourt Investment Consulting AG und davor Teil des Derivate- und Strukturierungsteams der Commerzbank AG in Frankfurt. Bei L1D unterstützt er als Senior Advisor aktiv mit Rat und Tat den Bereich Vertrieb und Marketing. Mit Sitz in der Schweiz konzentriert sich die L1 Digital AG als FINMA-regulierter Investment-Manager auf die Erschließung von Investitionsmöglichkeiten in der Blockchain-Industrie. Hierbei analysiert L1D Blockchainprojekte und Fonds mit dem Ziel, die weltweit besten für L1Ds Investoren investierbar zu machen. L1D wurde im Jahr 2018 gemeinsam von Ray Hindi, Dr. Philipp Cottier, Armand van Houten und Claus Hilpold in Zürich gegründet.