Im Juli 2023 hat die Europäische Zentralbank die neunte Leitzinserhöhung in Folge beschlossen, nachdem die weltweit größten Notenbanken vor dem Hintergrund sprunghaft gestiegener Energiekosten im Juli vergangenen Jahres die Zinswende eingeleitet hatten.
Die damit einhergehende Neubewertung der Märkte für festverzinsliche Wertpapiere und Aktien hat unmittelbare Folgen für diejenigen, die nachlaufende Hypotheken haben. Dies wird auch weiterhin der Fall sein, wenn die Laufzeiten für festverzinsliche Hypotheken zu Ende gehen. Denn Zinswende und höhere Inflation bedeuten für alle höhere Refinanzierungskosten in den kommenden Jahren.
Preisdruck wird zunehmen
Wir sind überzeugt, dass der Preisdruck zunehmen wird. Die steigenden Zinssätze haben weltweit eine Korrektur auf den Immobilienmärkten ausgelöst. Im ersten Quartal 2023 sind die Transaktionspreise weiter gesunken, wie Daten von Green Street Advisors belegen. In Europa und in den USA war ein ähnlicher jährlicher Rückgang von 21% bzw. 18% zu verzeichnen.
Es ist wenig überraschend, dass Anleger – bewusst oder unbewusst – im aktuellen Marktumfeld von einer objektiven Risikobetrachtung zu einer subjektiven Betrachtungsweise übergehen. Denn die weltweit anhaltend niedrigen Transaktionszahlen erschweren die Bewertung von Immobilien in allen Sektoren im aktuellen Marktumfeld. Daten von MSCI zufolge ging das weltweite Transaktionsvolumen in den ersten drei Monaten des Jahres im Vergleich zum Vorjahr um 52% zurück. Dabei waren die europäischen Transaktionsvolumina am stärksten betroffen, die mit einem Rückgang um 64% auf den tiefsten Stand seit elf Jahren einbrachen. Der Vergleichswert für die USA lag bei 56%.
Weiter ungebrochenes Investoreninteresse an der Assetklasse Immobilien
Gleichwohl ist das Investoreninteresse an der Assetklasse Immobilien weiter ungebrochen hoch, wie ich u.a. bei der diesjährigen INREV-Investorenkonferenz in Barcelona im April und davor bereits bei der MIPIM im März beobachten konnte.
Dabei ist die Bewertung nach unserer Einschätzung von entscheidender Bedeutung, wie unsere Gespräche mit Investoren belegen. Wir beobachten, dass die Geld-Brief-Spannen immer noch hoch sind. Indes sehen wir eine allmähliche Tendenz zur Annäherung bei den Preisvorstellungen. Marktteilnehmer mit entsprechendem „dry powder“ erkennen, dass die aktuell stattfindende Preisanpassung große Chancen bietet.
Wir sind überzeugt: Wer jetzt in der Lage ist, Lösungen anzubieten und die Wertschöpfungsseite unseres Geschäfts auszubauen, wird auch im aktuellen Marktumfeld Erfolg haben. Höhere Zinssätze gehen einher mit zunehmendem Interesse an Strategien mit höherer Rendite. Genau darauf haben Value Add Strategien eine Antwort.
Mit Value Add Strategien erhalten Investoren Realrenditen, die über den risikofreien Zinssätzen liegen. Vor diesem Hintergrund achten Anleger bei Investmentmanagern verstärkt auf die Mehrwertschöpfung. Dabei lohnt es sich, den Kern von Value Add vor Augen zu haben. Einige Marktteilnehmer assoziieren mit dem Wort Value Add ein erhöhtes Risiko. Das sehen wir nicht so. Die wörtliche Übersetzung aus dem Englischen trifft es sehr genau: Mehrwert schaffen! Dies hat nichts mit Risiko zu tun, sondern mit Management, Erfahrung, Disziplin und sehr gutem Marktresearch.
Value Add Strategien schärfen den Blick
Denn nur unabhängiges Marktresearch liefert Aussagen auf die Frage, wie sich der Bedarf entwickelt und somit auch das Potenzial auf ein konstantes und gutes Mietwachstum. Value Add Strategien schärfen den Blick, Trends frühzeitig zu erkennen und das passende Produkt zu liefern. Fallen Angels zu kaufen, ist meist nicht die richtige Strategie. Auch darf die Rendite nicht durch einen zu hohen Leverage erzeugt werden. Zielwerte um die 50% sind hier nachhaltig. In Erwartung strukturell höherer Zinssätze und erheblicher Preisanpassungen beginnen europäische Immobilien einen guten relativen Wert zu bieten.
Darauf aufbauend sind Risikoanalysen entscheidend, um Risiken einzupreisen und das Potenzial für Wertzuwächse, z. B. bei Sanierung oder Brown-to-Green-Investments zu kalkulieren – was bei allen Value Add Investments unabdingbar ist.
Upside-Potenziale ermitteln
Sind diese Hausaufgaben erledigt, ergibt sich die Möglichkeit, Immobilien mit Upside-Potenzial zu erwerben. Allerdings gibt es hier einige wichtige Vorbehalte. Die Nachrüstung bestehender Gebäude auf einen hohen Umweltstandard ist eine teure Angelegenheit, vor allem angesichts der steigenden Kosten für Material, Energie und Arbeitskräfte. Die mittlerweile breit angelegte und recht hartnäckige Teuerung dürfte nicht vor 2025 auf die Inflationsziele der weltweit größten Notenbanken eingegrenzt werden, schreibt der Internationale Währungsfonds in seinem Wirtschaftsausblick im April.
Investoren sind deshalb gut beraten, Top-Down-Forschung und Datenanalyse zusammen mit der Erfahrung der Teams vor Ort zu nutzen, um sicherzustellen, dass ein wertsteigernder Ansatz realisierbar ist. Kurz gesagt, die Entscheidungsträger müssen davon überzeugt sein – und einen guten Grund haben, davon überzeugt zu sein –, dass die Kosten für den Erwerb und die Nachrüstung durch den erwarteten Anstieg der Mieten und des Kapitalwerts mehr als ausgeglichen werden.
Flucht in Qualität hat Bestand
Positiv zu vermerken ist, dass die Flucht in die Qualität anhalten wird. Gerade deshalb ist der Ansatz, Value Add Strategien zur Diversifizierung des Portfolios einzusetzen, Gegenstand vieler Gespräche, die wir aktuell mit Investoren führen. Unsere Gesprächspartner erkennen die Vorteile von Value Add, insbesondere in Kombination mit dem Thema ESG. Hier eröffnen sich aktuell Möglichkeiten, laufende Erträge zu generieren und diese mit Wertsteigerungspotenzialen zu verbinden, die andere Strategien derzeit nicht bieten.
Neu ist, dass die Bewertung von Immobilien, die nicht ESG konform sind, bereits zu Abschlägen führt. Dies eröffnet Chancen. Wir analysieren den Status Quo und setzen auf smarte Gebäudetechnologien. Bereits heute sehen wir, wie der Einsatz smarter Technologien nicht nur den CO2-Fußabdruck verbessert und Ressourcen schont, sondern höhere Mieterträge und Exit-Preise sichert.
Was die Allokation in verschiedene Risikoklassen betrifft, sehen wir im aktuellen Marktumfeld Value Add als wesentlichen Teil einer Anlagestrategie in der Assetklasse Immobilien. Mit entsprechenden Allokationen erwarten wir positive Auswirkungen sowohl im Hinblick auf die Verringerung der Volatilität als auch die langfristige Wertentwicklung der zugrundeliegenden Assets.
Ein neuer Immobilienzyklus hat bereits begonnen
Unterm Strich befinden wir uns am Anfang eines neuen Immobilienzyklus. Viele Investoren und Fondsmanager haben sich jahrelang damit begnügt, Gewerbeimmobilien zu kaufen und dabei zuzusehen, wie Mieten und Kapitalwerte steigen. Aber das ist nicht mehr die Welt, in der wir leben. Jetzt, da das Leveraged Beta Fenster geschlossen ist, wird die Fähigkeit, Vermögenswerte neu zu positionieren und die Erträge durch aktives Asset Management zu steigern, entscheidend sein, um höhere Renditen zu erzielen. Wir befinden uns jetzt in einem Asset Management Zyklus. Value Add Strategien werden davon überdurchschnittlich profitieren.
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*) Dr. Mahdi Mokrane, Head of Global Investment Strategy and Research and Investment Solutions, PATRIZIA SE