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„Grundsätzliche Paradigmen-Wechsel durch ESG-Integration“

IPE D.A.CH-Chefredakteur Frank Schnattinger sprach mit Dr. Oliver Roll, langjähriger Strategie- und Distribution-Berater, über seinen Grundsatz-Kommentar zu den „Problemzonen“ in ESG-Diskussionen - wie auch in den Plänen des „EU Action Plan“. Die Überlegungen zu den Begründungen für ESG-Integration münden bei ihm in „Zehn Geboten“, die er für die Auseinandersetzung mit ESG in der Investmentbranche fordert.

Dr. Oliver Roll

IPE D.A.CH: ESG ist in aller Munde: Was ist an den Ideen zur ESG-Integration kritisch zu sehen?
Roll: Der Ausdruck „in aller Munde“ passt, da vieles „wiedergekäut“ wird – aber Wiederholung ist nicht das Problem. Nur wird das immer wieder Wiederholte auch nicht richtiger, wenn in den Ausgangsprämissen Fehler sind, aber es kann andererseits durch Hartnäckigkeit „Politik machen“. Mich besorgt unter anderem die Sprache, wir erleben fast so etwas wie „newspeak“. Damit meine ich nicht die Rufe nach klaren Definitionen, wobei ich denke, dass es genau diese hier nicht gibt - und auch gar nicht geben sollte.

IPE D.A.CH: Warum sehen Sie die Wünsche nach Standardisierung und nach eindeutigen Definitionen im Bereich ESG kritisch?
Roll: Die Rufe nach Standardisierung sind absolut verständlich – aber: ESG-Faktoren werden immer „bewegliche Ziele“ bleiben, und die bestmöglichen Lösungen können nicht durch heute gesetzte Definitionen gefunden werden. Im Bereich „E“ basiert alles auf den Ergebnissen der „Environmental Science“ – und in dieser äußerst interdisziplinären Wissenschaft sind bislang die wenigsten Gewissheiten von Dauer. In den Bereichen „S“ und „G“ sehen wir eine starke Abhängigkeit von kulturellen Werten, die einer permanenten Wandlung unterliegen. Mein Votum wäre, eine „offene Investorengesellschaft“ zu erhalten, denn weder Staat, NGOs, das IPCC oder andere Standard-Setzer wissen auf Dauer, was richtig oder sinnvoll ist. Außerdem würde das nur zu einer „Commoditisierung“ im nachhaltigen Investieren führen.

IPE D.A.CH: Wird der EU Action Plan die Finanzbranche umkrempeln?
Roll: Es wird Industriepolitik in großem Stil „implementiert“ – und das Problem ist nicht, ob man dieser Politik zustimmt oder nicht. Unterstellen wir Zustimmung: Aber – über ihre Assets werden Investoren in die Pflicht genommen, politische Ziele umzusetzen, und damit ändert sich etwas an ihrem „Eigentum“ an diesen Assets. Noch entscheidender ist aber, dass wir uns bei der Suche nach den bestmöglichen Lösungen selbst einengen.

IPE D.A.CH: Rechtfertigt aber nicht zum Beispiel der Klimawandel solche Maßnahmen?
Roll: Das ist die große ethische Frage, die Umsetzung des „Prinzips Verantwortung“ über die Lenkung von Kapitalströmen. Hier geht es aber um mehr als in der Umweltbewegung.

IPE D.A.CH: Ihr Begriff der „Zehn Gebote“ klingt nicht nur nach Ethik, sondern wie Religion?
Roll: Man muss diese Entwicklungen auch soziologisch betrachten: wir erleben eine der größten millenaristischen Bewegungen überhaupt - und in ihren Auswirkungen auf den beabsichtigten „Systemwandel“ eine der vielleicht wirkungsvollsten. Damit soll nichts über richtig oder falsch gesagt sein - in den ESG Diskussion werden sowieso schon viele falsche Dilemmata angeboten. Das habe ich en Detail in dem Artikel ausgeführt.

HINWEIS: Der Artikel „ESG - the New Utility Function?“ – ist im IPE D.A.CH Asset Management Guide 2019, S. 18 - 22, erschienen, und unten auch als Einzel-Download verfügbar.