„Ob nachhaltige Unternehmensfinanzierung und Geldanlage in der EU weiter im Aufwind bleiben werden, hängt auch von der Regulierung ab“, sagt BVI-Hauptgeschäftsführer Thomas Richter. „Deutschland sollte in den verbleibenden Monaten seiner Ratspräsidentschaft seinen Einfluss in der EU nutzen, um den positiven Trend zu nachhaltigen Anlagen durch angemessene Regulierung zu stärken.“
Die BVI-Mitglieder verwalten 3.400 Mrd. Euro für ihre Kunden. Sie sind damit eine der bedeutendsten Kapitalsammelstellen in Deutschland und spielen eine Schlüsselrolle für nachhaltige Anlagen.
Die im BVI bereits 2012 formulierten „Leitlinien zum verantwortlichen Investieren“ haben in der Branche eine Entwicklung in Gang gesetzt, die laut BVI inzwischen beeindruckende Ergebnisse liefert: So werden heute über 96% des Wertpapierfondsbestandes von BVI-Mitgliedern verwaltet, die die Prinzipien für verantwortliches Investieren der Vereinten Nationen (UN PRI) anwenden. Neugeschäft bei Publikumsfonds finde „zum größten Teil in Fonds mit ESG-Merkmalen statt“. Dadurch habe sich das verwaltete Vermögen von Publikumsfonds mit Nachhaltigkeitsmerkmalen allein in den letzten zwei Jahren auf über 50 Mrd. verdoppelt.
Auch die Zahlen im institutionellen Geschäft zeigen deutlich in Richtung nachhaltige Anlagen. Der BVI unterstützt die Bundesregierung in ihrem Bestreben, Deutschland als Sustainable-Finance-Standort weiterzuentwickeln. „Die Bundesregierung weiß, dass das nur im Einklang mit der EU-Regulierung funktioniert“, so Richter. Bundesregierung und BVI verfolgen dabei laut Richter ein gemeinsames Ziel: Die Förderung nachhaltiger Investments mit Deutschland in der Vorreiterrolle. Beiden komme hierfür eine Schlüsselrolle zu – der Regierung bei der Umsetzung ihrer Zukunftsstrategie im europäischen Rahmen, der Fondswirtschaft als Mittler zwischen Kapitalnachfrage und -angebot.
Der BVI bietet der Bundesregierung in dem Positionspapier einen institutionalisierten Dialog auf Basis der seit geraumer Zeit gepflegten informellen Zusammenarbeit an. Dort ruft der BVI die Bundesregierung auf, auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit auch unangenehme, aber notwendige Entscheidungen zu treffen, ohne das Ziel aus den Augen zu verlieren. Dazu gehöre auch, sich jetzt mit aller Kraft in Brüssel für ganzheitliche und praktikable Nachhaltigkeitsregulierung einzusetzen: „Um unsere Schlüsselrolle bei der nachhaltigen Unternehmensfinanzierung und nachhaltigen Geldanlage weiter ausbauen zu können, brauchen wir Regulierung, die selbst nachhaltig ist, das heißt widerspruchsfrei, praxistauglich und sinnvoll gestaffelt“, so Richter. Sonst werde der Trend zu nachhaltigen Anlagen eher geschwächt als gestärkt.
Mit Blick auf die verbleibenden Monate der deutschen EU-Ratspräsidentschaft schlägt der BVI vor, sich auf folgende wichtige Baustellen der EU-Nachhaltigkeitsregulierung zu konzentrieren:
Vorschriften aus einem Guss
Was als nachhaltiges Produkt gilt, ist derzeit in den verschiedenen EU-Regeln (Offenlegungsverordnung, Taxonomie, Detailvorgaben auf Level-II-Ebene zu MiFID II und IDD) uneinheitlich geregelt. So stelle beispielsweise die geplante Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen des Anlegers im Vertrieb nach MiFID II und IDD andere Anforderungen an nachhaltige Produkte als die Offenlegungsverordnung. Dadurch scheiden bestimmte Produkte aus dem Vertrieb an Kunden mit Interesse an nachhaltigen Anlagen aus, obwohl sie alle Anforderungen der Offenlegungsverordnung in Bezug auf ökologische oder soziale Merkmale erfüllen und sich damit als „ESG“, „SRI“ oder ähnlich bezeichnen dürfen.
Uneinheitliche Vorgaben dazu, was als nachhaltiges Finanzprodukt gilt, verunsichern Fondsanbieter und Anleger gleichermaßen und konterkarieren das Ziel, Transparenz und Orientierung im Angebot nachhaltiger Geldanlagen zu schaffen. Fondsgesellschaften brauchen laut BVI Planungssicherheit bei Produktentwicklung und Vertrieb. Beides setze einheitliche Kriterien für die Beurteilung nachhaltiger Produkte voraus, und zwar unterschiedslos in allen Regelwerken.
ESG-Datenlücken über verpflichtenden EU-Standard schließen
Der BVI plädiert ferner dafür, die anstehende Reform der EU-Richtlinie zur nicht- finanziellen Berichterstattung (NFDR) zu nutzen, um die Datenlücken in der ESG-Berichterstattung zu schließen. Taxonomie und die Offenlegungsverordnung stellen hohe Anforderungen an die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Fondsgesellschaften und Portfoliounternehmen. Doch zwischen Anspruch und Wirklichkeit klafft laut BVI derzeit noch eine gewaltige Datenlücke. Vergleichbare ESG-Daten seien derzeit nur eingeschränkt verfügbar, die Bewertungsmethoden der etablierten ESG-Ratinganbieter unterscheiden sich deutlich. Hinzu kommt, dass Asset Manager weltweit investieren, aber nur 7.000 der weltweit 50.000 börsennotierten Unternehmen ihren Hauptsitz in der EU haben. Deshalb sollte die Berichtspflicht künftig nach einem EU-weit einheitlichen Standard alle ESG-Informationen abdecken, die Investoren nach den neuen EU-Vorgaben benötigen. Sie sollte für alle Unternehmen gelten, die sich an den EU-Kapitalmärkten über Aktien oder Anleihen finanzieren, auch für Unternehmen mit Sitz außerhalb der EU, wenn ihre Aktien an einem regulierten Markt in der EU notiert sind. Die ESG-Berichte sollten darüber hinaus über eine zentrale und kostenlose EU-Datenbank für alle Marktteilnehmer abrufbar sein.
Offenlegungsverordnung und Kundenabfrage zeitlich aufeinander abstimmen
Der aktuelle Zeitplan für die Anwendung der Offenlegungsverordnung stellt Fondsgesellschaften in der Praxis vor unlösbare Probleme. Denn Fonds müssen bis zum Inkrafttreten der Verordnung am 10. März 2021 Vorlagen für Informationen zur Nachhaltigkeit in ihre Verkaufsprospekte aufnehmen. Die Vorlagen werden aber von den ESAs entwickelt und sind bisher nicht einmal im Entwurf verfügbar. Sie werden frühestens Ende Januar 2021 in der endgültigen Fassung vorliegen. Den Fondsgesellschaften würden damit gerade einmal fünf Wochen Zeit bleiben, die neuen Vorgaben zu analysieren und die Anlegerinformationen anzupassen. Da dies praktisch unmöglich ist, fordert der BVI, den Start der Offenlegungsverordnung auf den 1. Januar 2022 zu verschieben. Dies sei sinnvoll, weil zu diesem Termin auch weitere Informationspflichten nach der Taxonomie in Kraft treten sollen. Im Sinne einer koordinierten Gesamtlösung sollten auch die Vorgaben für die Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen im Vertrieb nach MiFID II und der IDD ab 1. Januar 2022 gelten. Richter abschließend: „Wenn es beim Start der Offenlegungsverordnung am 10. März nächsten Jahres bleibt, sind erhebliche Behinderungen im Vertrieb von nachhaltigen Fonds programmiert – einfach deswegen, weil es nicht genügend nachhaltige Produkte im Sinne der MiFID gäbe.“