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„Salopp gesagt hat der sogenannte Westen weniger an Rohstoffen zur Verfügung, wenn China selbst mehr konsumieren will“

Neben ESG und Niedrigzinsphase stoßen auch Themen wie Value Investing und Rohstoffe wieder auf verstärktes Interesse bei privaten und institutionellen Investoren. Markus Hill* sprach für IPE D.A.CH mit Urs Marti, SIA Funds AG, über die Zusammenhänge von Nachhaltigkeit, Öl, Geopolitik und über die Bedeutung von Kernenergie im Zusammenhang mit der Thematik Klimawandel.

Urs Marti

IPE D.A.CH: Value Investing und Rohstoffe scheinen ein gewisses Revival zu erleben. Wie sehen Sie das?
Marti: Tatsächlich deutet vieles auf eine Trendwende hin. Wenn man die angefügte Grafik betrachtet, ist der Weg noch weit. Bei SIA haben wir seit geraumer Zeit auf die kommenden Knappheiten aufgrund der riesigen Fehlallokationen von Kapital und der sich daraus ergebenden Unterinvestitionen hingewiesen. Robert Friedland hat die begonnene Dekade treffend als „The decade of the revenge of the miners“ beschrieben (siehe folgende Grafik: „Ratio Growth / Value“ Quelle: SIA Funds AG).



IPE D.A.CH: Die Themen Rohstoffe und Versorgungssicherheit werden in der Presse interessiert verfolgt. Hatte der kürzlich stattgefundene Vorfall im Suezkanal zusätzliche Auswirkungen auf die schon bereits vorher angespannten Lieferketten?
Marti: Es mag etwas paradox klingen, aber Covid-19 hat wohl Parallelen zur Besetzung des Rheinlandes 1919. Als Vergeltung blieben die Arbeiter zu Hause. Dies führte zu tieferer Produktion, Knappheiten, steigenden Preisen und die Inflationsspirale kam in Gang. Im Rohstoffbereich gibt es immer Produktionsausfälle, aus verschiedensten Gründen. Im Schnitt fallen ca. 5% der Produktionskapazitäten aus. Wenn der Markt genügend versorgt ist, die Lager gefüllt sind, hat dies kaum nachhaltige Auswirkungen. Bei tiefen Lagern und angespannter Versorgung führt es jedoch zu deutlicher Preisvolatilität. Beunruhigend an der aktuellen Situation ist, dass es praktisch alle Teile der Wertschöpfungskette betrifft: Rohstoffe, Elektrizität, Transport, Container, Equipment etc. Man hat, die ganze Wertschöpfungskette betrachtet, einfach nicht mehr genügend investiert (Beispiele: Minen, Ölfelder, Stromversorgung, Werften etc.). Auch Chips benötigt man nicht nur in iPhones sondern auch in Schiffen, Mähdreschern usw. Schauen Sie sich mal die Studienrichtungen an, welche angeboten werden: Wer lässt sich zum Geologen, Bergbau-/Petroleumingenieur ausbilden? Dazu kommt die Politik. Man stimuliert die Nachfrage durch Gelddrucken, verteuert jedoch die Angebotsseite durch unzählige Maßnahmen, Steuern, Beschränkungen, Regulationen oder Abgaben.

IPE D.A.CH: Wie sehen Sie im Zusammenhang mit dem Thema Rohstoffe China, Indien und den Bereich Konsum?
Marti: Die Politik von China vollzieht ein Paradigmenwechsel. Man will tiefere Handelsbilanzüberschüsse, mehr Binnenkonsum und einen höheren Lebensstandard für die Bevölkerung. Das Outsourcing rächt sich. Es wird viele Veränderungen geben, auch bezüglich Währungen. Salopp gesagt hat der sogenannte Westen weniger an Rohstoffen zur Verfügung, wenn China selbst mehr konsumieren will. Der Pro-Kopf-Konsum von China beträgt derzeit ein Drittel des Wertes im Vergleich zu jenem im Westen. Die Küste in China ist weit entwickelt, der Rest des Landes jedoch noch nicht. Das Vorantreiben dieser Entwicklung ist ja auch eine der Hauptprioritäten von Peking. Aber es geht nicht nur um China. Indien hat bald mehr Einwohner als China. Der Lebensstandard und der Pro-Kopf-Konsum dieser Länder - Rohstoffe und Güter – beträgt nur ein Bruchteil des Konsums im Westen. Unter den zehn größten Ländern ist der einzige Vertreter des sogenannten Westens die USA. Danach kommen Indonesien, Pakistan, Brasilien, Nigeria, Bangladesch, Russland und Mexiko.

IPE D.A.CH: ESG, Klimawandel und Rohstoffe werden oft in einem Atemzug diskutiert. Welchen Zusammenhang sehen Sie in diesem Bereich, was fällt Ihnen besonders auf und welche Rolle spielt Öl in diesem Zusammenhang?
Marti: Das menschliche Leben beruht auf der Nutzung der Ressourcen, welche auf dem Planeten existieren. Die Basis von allem kommt aus dem Bergbau, der Landwirtschaft, der Jagd, der Fischerei etc. Man kann auch die Produktion von Agrargütern stoppen, dann „sinkt“ brutal ausgedrückt auch die Bevölkerung (Anzahl), ohne Unterstützung reduziert sich dann im Verhältnis von 1:1 auch der CO2-Ausstoß. Die heutige Arbeitsteilung und Produktivität sind nur dank der Industrialisierung möglich. Ohne Karbon wären wir wohl auf dem Niveau von 1860. Die Produktivität der Landwirtschaft wäre wohl ein Zehntel. 80% der Elektrizität weltweit wird durch Dampferzeugung generiert (90% fossil, 10% Kernspaltung, der Rest faktisch durch Wasserkraft). Preiswerte Transport in großen Kapazitäten ermöglicht nur Erdöl. Ebenso bestehen alle Produkte, welche nicht natürlich gewachsen oder aus Metall sind, aus Karbon. Wie man nun produziert, ist eine andere Frage, genauso wie in jeder anderen Industrie auch. In meiner Kindheit konnte man Fotos in Basel mit Rheinwasser entwickeln (zumindest hat man dies erzählt). Genauso wie ein VW nicht mehr gleich aussieht wie in den Siebzigern, so verhält es sich auch im Bergbau. Es ist wohl die am stärksten regulierte Industrie der Welt. Es ist ja nicht so, dass man einfach mal in Fort McMurray beginnen kann Ölsand abzubauen. Es gibt die strengsten Umweltauflagen der Welt, man gibt Milliarden aus, es wird renaturiert etc. Viele der Firmen haben übrigens auch sehr gute ESG-Ratings. Zum Beispiel sind die größten Ölproduzenten der Welt ebenso die größten Firmen in CO2 Capturing/Storage. Und nur weil sich viele Länder der Welt nicht mehr vom Westen bevormunden lassen, heißt dies nicht, dass es dort schlechter sein muss. Weshalb sollte eine westliche NGO, eine Investmentbank oder ein Consultant etwas im Hoheitsgebiet von China, Brasilien oder Russland zu bestimmen haben? Natürlich ist es so, dass es immer Unfälle, schwarze Schafe etc. gibt. In der Schweiz wurde ein Strafverfahren gegen eine Transportfirma eröffnet, welche hunderte Tonnen belastendes Material illegal entsorgt haben soll. Dies soll zum Fischsterben im Blausee geführt haben. Es ist halt einfacher, mit dem Finger auf andere Länder und andere Kontinente zu zeigen.

IPE D.A.CH: Bei den Themen Nachhaltigkeit, Versorgungssicherheit und Klimaschutz hat man den Eindruck, dass der ursprünglich „verfemte“ Bereich Kernenergie wieder in die Diskussion eingeführt wird, man kann fast von einer Enttabuisierung sprechen. Wie beurteilen Sie den Bereich der Nuklearenergie und deren Rolle bei der Energieversorgung?
Marti: Jeder, der sich nur fünf Minuten mit dem Thema beschäftigt, weiß, dass man auf verlässliche, stabile Grundlast angewiesen ist. Die einzige Form Strom zu speichern (im großen Stil) sind Pumpspeicherwerke, für welche es Berge und Talsperren braucht. Oder ein Lager an Kohle oder ein Gaskraftwerk, welches schnell hochgefahren werden kann, falls es nicht „windet“ (hier braucht ja Deutschland Pipelines zum Ausgleich). Jede Form der Energiegewinnung hat ihre Vor- und Nachteile. Wasserkraft und Atomkraft emittieren kein CO2. Aber es bereitet auch nicht nur Freude, wenn man ganze Täler in den Bergen flutet. In der Schweiz gab es in den 50er Jahren ein Projekt zur Flutung des Urserentales. Dort hat Herr Sawiris gerade sein Chedi Hotel gebaut, riesige Summen in Bergbahnen, Bahnhof und Hotels wurden dort investiert. Ein Revival dieses Projektes käme heute noch weniger gut an als vor 70 Jahren. Heute wird mehr Strom durch Kernspaltung produziert als vor Fukushima. Wie überall sind es Länder wie China, Indien, Russland und andere, welche ausbauen und auch in Zukunft weiter ausbauen werden. Dies wird zwar weniger in der Öffentlichkeit thematisiert, aber China hat 2020 mehr neue Kapazitäten für Kohlestrom geschaffen als die gesamte bestehende Kapazität von Kontinentaleuropa zusammen betrachtet! Diese Länder brauchen Elektrizität und investieren in alle verfügbaren Energieträger. Kohle, Gas, Nuklear, Wind, Solar, Wasser. Man kann sich vorstellen, dass auch ein modernes Atomkraftwerk anders aussieht als noch in den 70er Jahren. Es ist amüsant zu sehen, wie man über etwas zu reden beginnt, nur weil Bill Gates & Co. darüber sprechen. Man begänne in neue Technologien zu investieren, kleine mobile Atomkraftwerke etc. China hat im Februar das erste Kernkraftwerk ans Netz genommen, welches vollständig mit eigener Technologie entwickelt wurde. Die Kosten werden auf 2,5 Mrd. US-Dollar geschätzt. Man geht davon aus, dass es in den westlichen Ländern etwa 10 Mrd. US-Dollar kosten würde und so ein Projekt Jahre länger gebraucht hätte. 2019 nahm Rosatom mit Akademik Lomonosov den ersten schwimmenden Kernreaktor in den kommerziellen Betrieb. Es ist spannend, etwas auf der Homepage der staatlichen Firma (100.000 Mitarbeiter) zu stöbern um zu sehen, in welchen Bereichen man so tätig ist. Medizin, Logistik etc. Zu euphorisch sollte man aber auch nicht werden. Solche Dinge brauchen Zeit. Es befinden sich 10% der bestehenden Flotte von Kernkraftwerken im Bau. Somit dürfte der Uranverbrauch jährlich 1-2% wachsen, wie bei fast allen Rohstoffen. Das Problem ist auch hier die Angebotsseite. Es wurde unterinvestiert, Minen wurden geschlossen und die Versorger haben auf der Beschaffungsseite die Kontrakte nicht mehr erneuert. Auch hier sind wir sehr zuversichtlich bezüglich der zwei besten Produzenten der Welt, zumal man die Firmen und deren Assets zu unglaublich tiefen Preisen bekommt.

IPE D.A.CH: Rohstoffe sind Ihre Leidenschaft. Sie lesen aber auch gerne – Fachbücher sowie andere Bücher. Was war Ihr letztes Buch, das Sie mit Freude „verschlingen“ konnten?
Marti: Kürzlich habe ich „The Price“ von Daniel Yergin fertiggelesen. Es wird als die Bibel der Ölindustrie angesehen und erzählt die Entwicklung von den Anfängen von Rockefellers Standard Oil bis zum Irakkrieg. Spannend fand ich die Anekdote zum Zweiten Weltkrieg. Die Allokation des Treibstoffes für die alliierten Truppen in Europa unterstand den Engländern. General Patton konnte aufgrund von Treibstoffmangel nur sehr langsam mit seinen Panzern vorrücken. Montgomery war ein Britischer Volksheld und dessen Treibstoffbedarf in Nordafrika wurde bevorzugt behandelt. Bei einer anderen Treibstoffallokation hätte Nachkriegseuropa wohl anders ausgesehen. Die Alliierten wären deutlich schneller nach Berlin vorgerückt und wohl weiter nach Osten vorgestoßen. Die Grenze zwischen dem Ostblock und dem Westen hätte sich weiter im Osten befunden. Auch ist es spannend zu sehen, wie schmal der Grat zwischen Erfolg und Misserfolg stets ist. Viele Ölfirmen haben ihren Ursprung in Standard Oil beziehungsweise in dessen Nachfolgetrusts (nach der Zerschlagung des Konzerns 1911 aufgrund des Sherwood Antitrust Act). BP wurde 1908 als Anglo-Persian Oil gegründet nach der Entdeckung eines großen Ölfeldes im Iran. Der erste Hauptsitz stand in Teheran. Royal Dutch wurde 1890 gegründet um ein Ölfeld in Sumatra zu entwickeln. Diese Firmen gehören zu den ältesten der Welt, haben riesige Summen an Dividenden bezahlt, bis zu 50% Dividendenrendite in gewissen Jahren. Selbst solche Firmen standen alle 20 Jahre immer wieder vor dem Abgrund. Einmal hatte Royal Dutch schon den Stopp eines Explorationsprojektes in den West Indies beschlossen. Als das Explorationsteam auf einer entlegenen Insel den Befehl zum Zusammenpacken bekam, beschloss man am Nachmittag noch ein letztes Mal zu bohren vor der anstehenden Abreise am Abend. Dies war dann der Jackpot, welches den Fortbestand der Firma sicherte. Viele solche Geschichten kann man nachlesen über fast alle der heute großen Unternehmen, von welchen man denkt, sie hätten immer eine stabile Zeit gehabt. Ich will darauf hinaus, dass ohne das Eingehen von unternehmerischen Risiken kein Erfolg möglich ist, genauso wie im Sport. Irgendwann muss man auch aufs Tor schießen – mit dem Risiko, dass der Ball daneben geht. Faszinierend ist, wie man heute solide Firmen mit hohen Dividenden, tiefen Bewertungen etc. aufgrund des allgemeinen Herdentriebes als riskant einstuft. Währenddessen wird vieles, was offensichtlich niemals in der Lage sein wird dem Aktionär/Obligationär eine gesunde Rendite abzuwerfen, aufgrund des Zeitgeistes als solide Anlage angesehen. Sie sehen, ich liebe Geschichte und alternative Szenarien – in meinem Gebiet übt diese Denkweise eine Faszination aus, man wird kreativ.

IPE D.A.CH: Vielen Dank für das Gespräch.

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*) Markus Hill ist unabhängiger Asset Management Consultant in Frankfurt am Main. Kontakt: info@markus-hill.com; Website: www.markus-hill.de

Informationen zur SIA Funds AG: https://s-i-a.ch