IPE D.A.CH: Frau Woods, Herr Hardingham, in Ihrem neuen Research „The evolution of China's credit lending to emerging markets“ beschreiben Sie die Kreditvergabepraxis Chinas. Warum war es für Ihr Team wichtig, sich mit diesem Thema zu beschäftigen?
Woods: Wir sind generell sehr daran interessiert, wie sich bilaterale Kreditvergabepraktiken auf die Kreditwürdigkeit von Staaten im Schwellenländeruniversum auswirken. Dazu gehört insbesondere auch die bilaterale Kreditvergabe Chinas, die ein wichtiger Treiber für die Preise von Staatsanleihen ist, insbesondere für die schwächeren Schwellenländer. Unserer Ansicht nach wird China bei der Kreditvergabe im Ausland wahrscheinlich selektiver vorgehen und immer höhere Hürden hinsichtlich des wirtschaftlichen und strategischen geopolitischen Nutzens solcher Investitionen anlegen. Diese Dynamik könnte in Zukunft zu einer unterschiedlichen Performance der schwächeren Schwellenländeranleihen führen.
IPE D.A.CH: Was sind Chinas strategische Prioritäten bei der Kreditvergabe, wenn wir sein größtes internationales Projekt, die „neue Seidenstraße“, betrachten?
Hardingham: Die 2013 ins Leben gerufene „Belt and Road Initiative“, auch als „neue Seidenstraße“ bezeichnet, steht im Zentrum der Außenpolitik des heutigen Präsidenten Xi Jinping. Ziel ist die Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung und eine regionenübergreifende Vernetzung. Xis Vision sieht vor, dies durch Infrastrukturinvestitionen in Höhe von rund einer Billion Dollar zu erreichen. Inflationsbereinigt liegt der Betrag damit deutlich über dem Marshallplan nach dem Zweiten Weltkrieg. Die wirtschaftliche Zielsetzung ist eindeutig. Die Volksrepublik wollte im Ausland investieren, um neue Absatzmärkte zu erschließen, die Internationalisierung des Renminbi zu fördern, in der globalen Wertschöpfungskette nach oben zu klettern, ein regional ausgewogeneres Wachstum im Inland zu generieren und eine höhere Kapitalrendite zu erzielen als mit niedrig verzinsten US-Treasuries. Es ist kein Zufall, dass diese Expansionsphase im Ausland mit einem hohen, von der verarbeitenden Industrie getriebenen Leistungsbilanzüberschuss zusammenfiel.
IPE D.A.CH: Und was haben Sie über die operative Seite von Chinas Kreditvergabepraxis herausgefunden?
Woods: Das Nachvollziehen der bilateralen Kreditvergabepraxis Chinas an Schwellenländer ist schwierig, weil der Prozess undurchsichtig ist und es keine systematische Berichterstattung gibt. Auch wird Verfolgung der Kreditvergabe auf der Schuldnerseite durch die Art der Kreditvergabe selbst erschwert. Sie erfolgt selten direkt auf bilateraler Basis und meistens werden die Kredite offiziell zwischen staatlichen Unternehmen vergeben. In vielen Fällen enthalten die Kredite auch Vertraulichkeitsklauseln, die verhindern, dass andere Gläubiger Zugang zu bestimmten Details haben. Dies wurde kürzlich in einem Research-Papier mit dem Titel „How China Lends“ des Kieler Institute of World Economy und anderen Think Tanks und Research-Institutionen sehr anschaulich dargestellt. In einer vorangegangen Untersuchung aus dem Jahr 2019 beschreibt das „Kieler Institut“ dabei eine "zirkuläre" bilaterale Kreditvergabestrategie, bei der als Beispiel eine chinesische Staatsbank Gelder direkt an ein chinesisches Bauunternehmen auszahlt, das ein Bauprojekt durchführt, um das staatliche Ausfallrisiko für den Kredit zu minimieren. Auf diese Weise verlässt ein großer Teil der chinesischen „Auslands“-Kredite möglicherweise nie das chinesische Finanzsystem und wird von den Statistikämtern in den Schuldnerländern nicht erfasst.
IPE D.A.CH: Wer sind die Empfänger und welches sind die Hauptmerkmale der Schwellenländer, die Geld aus China erhalten?
Hardingham: Die Kreditnehmer sind breit gefächert, sowohl hinsichtlich ihrer Größe als auch ihrer geografischen Lage. Die meisten Empfängerländer verfügen über genügend bilanziellen Spielraum, um Schulden aufzunehmen, aber eben nicht alle. So haben die Kredite in einigen Fällen die Probleme mit der Tragfähigkeit der Staatsschulden verschärft. Diese Dynamik ist eine Herausforderung für die Inhaber von Staatsanleihen, denen ein transparenter Rahmen fehlt, durch den sie die chinesische Reaktion auf solche Schuldentragfähigkeitsprobleme antizipieren können, anders als etwa bei anderen offiziellen Kreditgebern. Wir sehen, dass China bei der Behandlung von Schuldnerländern, die in Not geraten sind, einen „case-by-case“ Ansatz verfolgt.
IPE D.A.CH: Afrika ist bekanntlich ein wichtiger Kontinent für China?
Woods: Subsahara-Afrika bietet eine Vielzahl von Beispielen für diese bilaterale Kreditvergabe in der Praxis und unterstreicht, wie unterschiedlich Chinas Ansatz bei der Restrukturierung sein kann. Zwischen 2000 und 2018 haben afrikanische staatliche Schuldner und ihre Staatsunternehmen schätzungsweise 148 Mrd. US-Dollar an chinesischen Krediten erhalten. Nach dem Zusammenbruch der Rohstoffpreise stiegen die chinesischen Kreditrestrukturierungen in Afrika im Jahr 2015 sprunghaft an. In den meisten dieser Fälle verfolgte China einen relativ freundlichen Ansatz bei der Restrukturierung, wobei viele Länder zusätzliche Kredite und Aufschübe für Liquiditätsprobleme erhielten.
IPE D.A.CH: Was bedeutet der Einfluss Chinas durch die Kreditvergabe für Ihr Portfolio?
Hardingham: Ein fundamentaler Ansatz für jedes einzelne Land ist unabdingbar. Wir müssen im Vorfeld wissen, wo die Geopolitik Chinas, einschließlich der Art der bilateralen Kreditvergabe, die Kreditwürdigkeit eines Staates unterstützt oder behindert. China wird in Zukunft bei der Kreditvergabe sehr viel selektiver vorgehen und höhere Schwellenwerte für den wirtschaftlichen und strategischen geopolitischen Nutzen seiner Investitionen im Ausland ansetzen. Insgesamt gehen wir davon aus, dass China seine Kreditvergabe in Zukunft auf Länder mit direktem Zugang zu Rohstoffen, wie z.B. Öl, ausrichten wird, sowie auf Länder, die bei der Förderung von Chinas strategischen oder sicherheitspolitischen Interessen die klarste Rolle spielen. Vor diesem Hintergrund halten wir in den Kundenportfolios lieber angolanische als sambische Staatsanleihen. Die Dynamik zwischen den USA und China unter US-Präsident Joe Biden könnte sich auch auf Chinas Motivation auswirken, in den kommenden Jahren Kapital im Ausland einzusetzen. Wenn sich die Biden-Administration international stärker engagiert, könnte der Wettbewerb zwischen den beiden Ländern einen „Bieterkrieg“ auslösen, von dem bestimmte Schwellenländer kurzfristig profitieren könnten. Generell bleiben wir für Schwellenländeranleihen konstruktiv, da die Bewertungen im Vergleich zu Anleihen der Industrieländer immer noch attraktiv sind. Die jüngsten Bewegungen bei den US-Treasury-Renditen drohen die Möglichkeit eines weiteren „Taper Tantrum“ bei den EM-Spreads wie im Jahr 2013 an. Allerdings stellen wir fest, dass die meisten EM-Auslandsbilanzen jetzt viel gesünder sind als 2013. Die Coronavirus-Krise hat die Fundamentaldaten der EM-Schulden geschwächt, aber die wirtschaftlichen Aussichten für die Weltwirtschaft verbessern sich, was es den meisten EM-Ländern letztendlich ermöglichen sollte, ihre Bilanzen in Ordnung zu bringen. Für jene Staaten, die sich nicht schnell genug anpassen können, wird die multilaterale und bilaterale Unterstützung ein wichtiger Treiber für die Anleihekurse bleiben. Hier wird China einflussreich bleiben, ebenso wie die G20 im weiteren Sinne, unter anderem durch die Anwendung des gemeinsamen Rahmens für die Behandlung von Schulden.
IPE D.A.CH: Besten Dank für die Einblicke!