IPE D.A.CH: Im Teil „1 von 2-Gespräch“ vom 24. Juni hatten wir uns intensiv mit dem Themenkreis Alternative Investments beschäftigt. Lassen Sie uns beim zweiten Gespräch nun zur Assetklasse Immobilien kommen. Laut ihrer Studie wollen nur noch 5% der befragten Anleger ihre Immobilienquote 2024 ausbauen. Sind Immobilienanlagen nur noch ein Auslaufmodell?
Thürmer: Nein, ein Auslaufmodell sind Immobilien keineswegs. 5% sind tatsächlich ein sehr niedriger Wert, verglichen mit 31% im Jahr 2023 oder 62% im Jahr 2022. Mit dieser Einschätzung ist ein neuer Tiefpunkt erreicht. Das hat sicherlich mit dem aktuell politischen und wirtschaftlichen Umfeld zu tun und die Einschätzungen der Befragten sind reine Bauentscheidungen. Es ist davon auszugehen, dass sich dies im kommenden Jahr umkehren wird. Immobilien waren über 10 Jahre eine stark wachsende und aufstrebende Assetklasse im Zeichen der Null-Zinspolitik. Die Immobilienmärkte werden sich bald wieder normalisieren, aber die hohe Nachfrage, wie wir sie 2010 bis 2022 erlebt haben, werden wir in absehbarer Zeit nicht mehr sehen. Hingegen dürfte die bislang praktizierte „buy and hold-Strategie“ auf den Prüfstand kommen, wie wir vereinzelt von Investoren erfahren haben. Ältere Immobilienbestände werden überprüft und durch möglicherweise neue oder andere Nutzungsarten ersetzt.
Link zum ersten Teil des Gesprächs
IPE D.A.CH: Viele Marktteilnehmer gehen davon aus, dass der Wohnimmobilienmarkt weiter positiv eingeschätzt wird. Ist das trotz der aktuellen Preisrückgänge tatsächlich ein realistisches Szenario?
Thürmer: Stand heute, muss man dies bejahen. Das Preisniveau ist in den vergangenen 24 Monaten deutlich gesunken, während der Mietzins deutlich angestiegen ist. Außerdem spielen die Marktgegebenheiten, also das Ausbleiben von Neubauten, Investoren in die Hände. Diese Verknappung wird sich mittelfristig weiterhin auf Hauspreise und Mieten niederschlagen. Viele Analysten gehen in den nächsten Jahren von einer Lücke von ca. 700.000 Wohnungen aus. Das trifft besonders die Ballungszentren. Im Prinzip steuern wir sehenden Auges auf ein Desaster zu. Investoren von Wohnimmobilien werden langfristig profitieren, aber nicht alle Marktteilnehmer sind von der Nutzungsart vollumfänglich überzeugt. Vielmehr ist es ein sicherer Hafen aufgrund von Vorbehalten bei Gewerbeimmobilieninvestments.
IPE D.A.CH: Diese kamen in ihrer Studie nicht gut weg. Ist die Zeit für Büro- oder Handelsimmobilien vorbei?
Thürmer: Auch diese Einschätzung ist nur eine Momentaufnahme. Bei Handel belastet die zunehmende Verödung der Innenstädte, hohe Leerstände, die Konsumzurückhaltung der Verbraucher als auch das starke Wachstum beim Onlinehandel. Im Bürosegment belasten Themen wie Homeoffice als auch der hohe Bestand veralteter Büroimmobilien in den Portfolios. 50% der Büroliegenschaften sind 30 Jahre oder älter und nur 14% wurden in den zurückliegenden Jahren errichtet. Attraktive Neubauflächen in sehr guten Lagen, gerade im Bürosegment, bleiben sowohl bei Investoren als auch bei Mietern gefragt, was zu niedrigen Leerständen, steigenden Mieten und langfristig stabilen Bewertungen führen kann. In vielen Städten übersteigt mittlerweile die Nachfrage das Angebot, beispielsweise in Ost- und Südeuropa, wie in Prag, Budapest, Warschau, Mailand, Madrid oder Barcelona.
IPE D.A.CH: Sowohl die Bundesregierung als auch die EU fordern die Energieeffizienz von Immobilien deutlich zu steigern. Dies bedingt gerade bei älteren Bestandsimmobilien teils größere energetische Maßnahmen. Wenn man sich die Ergebnisse der Studie ansieht, kommt man zur Schlussfolgerung, dass institutionelle Anleger bei Bestandsimmobilien eher skeptisch eingestellt sind. Trügt der Schein?
Thürmer: Etwas mehr als die Hälfte der Investoren plant die Durchführung energetischer Sanierungsmaßnahmen bei Immobilien, um den CO2-Ausstoss zu reduzieren. Die Bereitschaft ist aber im Vergleich zum Vorjahr etwas zurückgegangen. In Anbetracht der politischen Diskussion in Deutschland sowie auf Ebene der EU erscheint dieser Wert sehr niedrig. Ein Aussitzen, wie es 30% der Investoren planen, dürfte mittelfristig nur schwer durchzuhalten sein. Den Verkauf sanierungsbedürftiger Immobilien planen derzeit 16%. Dies dürfte nur unter Inkaufnahme erheblicher Preisabschläge umsetzbar sein.
IPE D.A.CH: Hinsichtlich Länderallokation entdecken Investoren auch zunehmend den außereuropäischen Immobilienmarkt. Worauf ist diese Entwicklung zurückzuführen?
Thürmer: Der Trend im Ausland zu investieren ist nicht neu. Vor 20 Jahren waren 95% der Immobilienanlagen von deutschen Institutionellen auch in Deutschland investiert. Die Euro-Einführung 2002 hat hier zum Durchbruch verholfen. Der globale Trend setzt sich nun fort. Besonders in Deutschland ist diese Haltung aktuell stark erkennbar. Das hat auch mit der Unzufriedenheit der Politik, geringem Wachstum, hohen Energiepreisen oder der Diskussion der Deindustrialisierung zu tun. Asien ist allerdings aufgrund politischer Vorbehalte und Kriegsangst kein Profiteur. Der Trend führt eher nach Nordamerika. Im Gegensatz zu Deutschland und Europa sind dort Wachstum als auch demographische Aussichten intakt. Wir hatten in unserer Umfrage auch nach der langfristig geographischen Ausrichtung im Immobiliensektor gefragt. Die Antworten kamen in der Reihenfolge USA, Deutschland, Europa und Asien. Das lässt tief blicken!
IPE D.A.CH: Welche Voraussetzungen müssen gegeben sein, um den Immobilienmarkt in Deutschland wieder in Schwung zu bringen?
Thürmer: Wir müssen dringend unsere strukturellen Defizite wie Arbeitsmarkt, Bildung, Digitalisierung, Energie und öffentliche Infrastruktur angehen, um Voraussetzungen für ein verbessertes ökonomisches Umfeld zu schaffen, ansonsten verschärft sich die Periode des Abstiegs, also eine beschleunigte Deindustrialisierung, die bereits jetzt schon klar erkennbar ist. In Deutschland sind Bürokratie und langwierige Genehmigungsverfahren große Hemmnisse für Wachstum und Investition. Zudem haben wir weltweit mit die höchsten Steuerabgaben. Der Anstieg der Staatsquote führt zu weiteren Problemen. Wettbewerbstechnisch fallen wir immer weiter zurück. Das Schlimme ist gar nicht die aktuelle Situation, sondern die Ignoranz der handelnden Personen in Politik und Gesellschaft. Im Ausland wundert man sich schon länger über den deutschen Sonderweg! Natürlich betrifft das nicht nur die Immobilienmärkte, sondern den gesamten Wirtschaftskreislauf.
IPE D.A.CH: Das Thema Nachhaltigkeit stand in den letzten Jahren bei institutionellen Anlegern ganz oben auf der Agenda. Hat dieses Thema weiter an Bedeutung gewonnen?
Thürmer: Nachhaltigkeit bleibt ein essenzielles Thema und verharrt auf einem sehr hohen Niveau. 57% glauben, dass das Thema in der öffentlichen Diskussion, 59% bei Entscheidungen in der Kapitalanlage und 54% bei der von der Aufsicht gestellten Kriterien, an Bedeutung gewonnen hat. Die Dynamik hat zwar etwas nachgelassen, dies kann aber auch als Zeichen dafür gewertet werden, dass das Thema Nachhaltigkeit/ ESG inzwischen zu einer Art Standard oder einem festen Bestandteil in Bezug auf die Kapitalanlagen geworden ist.
IPE D.A.CH: Gibt es beim Thema Nachhaltigkeit Unterschiede innerhalb der unterschiedlichen Anlegergruppen und woran orientieren sich Institutionelle in ihrer Nachhaltigkeitsstrategie?
Thürmer: Die Institutionalisierung ist im Bereich Nachhaltigkeit nochmals vorangeschritten. Der Anteil der Investoren, die beispielsweise einen ESG-Leitfaden für die Kapitalanlage implementiert haben, ist von 61% auf nun 63% angestiegen. Bei regulierten Investoren, also den Unternehmen der Assekuranz sowie den Altersvorsorgeeinrichtungen, liegt die Quote sogar bei 80%, im Vergleich zu 75% im Jahr 2023. Wie in den Vorjahren orientieren sich die Nachhaltigkeitsstrategien der institutionellen Investoren mehrheitlich an den Sustainable Development Goals (SDGs), gefolgt vom CO2-Fussabdruck, dem Pariser Klimaschutzabkommen oder der EU-Taxonomie.
IPE D.A.CH: Welche Gefahren sehen Sie aktuell im gegenwärtigen Marktumfeld, welche mögliche Zielinvestitionen gefährden könnten?
Thürmer: Mit Sicherheit neue globalen Krisenherde als auch die in der westlichen Welt weiterhin stark steigende Staatsverschuldung, insbesondere in den USA und Südeuropa. Mich würde es nicht wundern, wenn dies bald wieder auf der Agenda der Finanzmärkte landen wird. Die Fortsetzung der Rezession und/oder ein erneuter Zinsanstieg könnten ebenfalls zu Marktturbulenzen führen.
IPE D.A.CH: Vielen Dank für das Gespräch.
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*) Markus Hill ist unabhängiger Asset Management Consultant in Frankfurt am Main.
Kontakt: info(at)markus-hill.de; Website: www.markus-hill.de
Investoren, die Interesse an der Studie haben, können sich unter info(at)artis-icm.de melden.
Link: Paneldiskussion/Video „Präferenzen institutioneller Investoren bei Immobilien und Alternativen Investments“ (artis, Solvium, Finanzplatz Frankfurt am Main – Mai 2024).