Die weltweiten Energieressourcen sind Gegenstand heftiger Kontroversen. Verbraucher auf der ganzen Welt wünschen sich saubere, preiswerte und bedarfsgerechte Energie, um das Wachstum anzukurbeln - und die Energiemärkte werden eines Tages genau das bieten, nur später als viele Experten erwarten. Zum jetzigen Zeitpunkt wäre es verfrüht, davon auszugehen, dass der weltweit steigende Energiebedarf allein durch erneuerbare Energien wie Wind- und Solarenergie gedeckt werden kann.
Gleichzeitig wird der Niedergang traditioneller, kohlenstoffintensiver Energieträger wie Rohöl und Erdgas stark übertrieben dargestellt. Dank neuer Technologien und politischer Unterstützung, wie dem kürzlich in den USA verabschiedeten „Inflation Reduction Act“ (IRA), sind erneuerbare Energien in den Vordergrund gerückt und werden in Zukunft der wichtigste Wachstumstreiber sein. Wir gehen jedoch davon aus, dass die traditionellen Energieträger in den nächsten 20 Jahren wegen der bereits vorhandenen Infrastruktur und der Zuverlässigkeit dieser Anlagen weiterhin die größten Marktanteile haben werden.
Damit der Markt den Wachstumsanforderungen gerecht werden und den gewünschten Rückgang „schmutziger“ Energieträger wie Kohle ausgleichen kann, müssen alternative Energiequellen weiterhin mit ausgewählten konventionellen Energieträgern ergänzt werden. Wir rechnen damit, dass konventionelle Energieträger auch im Jahr 2040 noch rund 65% des Gesamtenergieverbrauchs ausmachen werden. Klar ist: Der Markt darf und wird nicht von einer Energiequelle oder der anderen abhängig sein. Mit Ausnahme von Kohle werden wir uns in den nächsten Jahrzehnten in einer Welt befinden, in der „mehr von allem“ benötigt wird.
Die Triebkräfte der Energienachfrage
Die Energienachfrage lässt sich anhand von drei Grundannahmen modellieren:
1. Bevölkerungswachstum = höhere Energienachfrage, unter sonst gleichen Bedingungen
2. Wirtschaftswachstum = mehr Energienachfrage, unter sonst gleichen Bedingungen
3. Energieintensität der zukünftigen Wirtschaft. Dies ist ein komplexes Thema. Neue Energietechnologien sind in der Regel effizienter, was bedeutet, dass die Wirtschaft bei gleichzeitig geringerem Energieverbrauch wachsen kann. Dies kann jedoch auch durch unterschiedliche Trends in OECD- und Nicht-OECD-Ländern (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) sowie durch Makrofaktoren wie Veränderungen im Konsum – weg von Gütern und hin zu Dienstleistungen – usw. beeinflusst werden.
Einfach ausgedrückt verbrauchen wohlhabendere Länder und stärker dienstleistungsorientierte Volkswirtschaften im Allgemeinen mehr Energie als weniger wohlhabende und stärker güterorientierte Volkswirtschaften.
Unsere Versorgungsprognosen: Wie die wachsende Energienachfrage gedeckt werden kann
Trotz des Aufkommens erneuerbarer Energiequellen wird die Nachfrage nach konventioneller Energie in den kommenden Jahren erheblich steigen, um den wachsenden Energieverbrauch zu decken.
Die Nutzung fossiler Brennstoffe wird heute aus einer Reihe von Gründen, wie z. B. der Sorge um den Klimawandel und die Luftverschmutzung, kritisch hinterfragt. Weltweit gibt es Proteste gegen Investitionen in kohlenstoffintensive fossile Brennstoffe und deren Nutzung. Ziel ist es, eine neue Ära sauberer und erneuerbarer Energien einzuläuten, um das globale Wachstum anzukurbeln. Derweil gibt es drei Haupttreiber, die die Entwicklung erneuerbarer Energien beschleunigen:
1. Kosten: Die Kosten für erneuerbare Energien werden wettbewerbsfähiger und dürften weiter sinken.
2. Verbraucherpräferenzen: Die Verbraucher berücksichtigen Umweltaspekte; das Wachstum bei Elektrofahrzeugen ist ein gutes Beispiel dafür.
3. Staatliche Unterstützung: Der kürzlich in den USA verabschiedete „Inflation Reduction Act“ (IRA) und andere politische Strategien weltweit zielen darauf ab, die Entwicklung erneuerbarer Energien massiv zu unterstützen.
Für die Zukunft erwarten wir folgende Entwicklungen auf den globalen Energiemärkten: (1) Biomasse und Kohle werden deutlich zurückgehen (>50%);
(2) die Nachfrage nach Rohöl wird bis in die 2020er Jahre stetig steigen, dann ein Plateau erreichen und in den 2030er Jahren wieder zurückgehen; und
(3) das gesamte zukünftige Wachstum wird aus Erdgas, Kernenergie und erneuerbaren Energien wie Wind, Solar und Wasserstoff kommen.
Wir glauben, dass Erdgas ein wichtiger Übergangsbrennstoff ist, während die Welt nach zusätzlichen Energiequellen sucht. Der Erdgasverbrauch ist seit dem Jahr 2000 erheblich gestiegen, und die globalen Märkte investieren weiter in die kritische Infrastruktur, die erforderlich ist, um dieses Wachstum bis 2040 aufrechtzuerhalten. Wichtig ist, dass Erdgas etwa 50% weniger CO2 ausstößt als Kohlekraftwerke. Die Umstellung von Kohle auf Erdgas ist ein Schritt in die richtige Richtung bei den weltweiten Bemühungen um die Dekarbonisierung.
Wir schätzen, dass die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien von heute 30.000 TWh um etwa 45.000 TWh gesteigert werden muss, um den für 2040 prognostizierten Bedarf von 75.000 TWh zu decken. Zur Einordnung: 45.000 TWh entsprechen fast dem Bedarf der gesamten Ölindustrie, der heute bei 51.200 TWh liegt. Wir halten dieses Szenario jedoch mit Kapital, Technologie und Anreizen für erreichbar und dem Status quo gegenüber vorzuziehen. Dies wird zweifellos nicht ausreichen, um die Netto-Null-Ziele zu erreichen – trotzdem stellt dieses Szenario ein durchaus erreichbares Ziel dar.
Zusätzliche Energiequellen statt Substitution von Energiequellen
Um den Energiebedarf bis 2040 zu decken, müssen Rekordinvestitionen in Energie getätigt werden. Im Klartext: Der Markt braucht alle zuverlässigen – und idealerweise umweltfreundlichen – Energiequellen, die er bekommen kann.
Es muss (und wird) technischen Fortschritt geben, um alternative Energiequellen zuverlässig und massentauglich zu machen, aber das wird einige Zeit in Anspruch nehmen. Beispielsweise kann Energie aus Wind- oder Solarkraft aufgrund der Beschränkungen der Batteriespeichertechnologie nicht über einen längeren Zeitraum gespeichert werden, und die Produktion hängt immer von den Wetterbedingungen ab. Im Gegensatz dazu ist einer der Vorteile herkömmlicher Ressourcen, wie beispielsweise Rohöl, dass sie gelagert, transportiert und je nach Bedarf genutzt werden können.
Darüber hinaus ändert sich gerade das Narrativ, da die nationale Energiesicherheit angesichts der zunehmenden geopolitischen Unsicherheit und der russischen Invasion in der Ukraine wieder in den Vordergrund rückt. Die Notwendigkeit einer zuverlässigen Energieversorgung war noch nie so entscheidend wie heute.
Investitionen in das gesamte Energiespektrum
Mit Blick auf die Zukunft sehen wir attraktive Chancen entlang der gesamten Energiewertschöpfungskette, sowohl im traditionellen als auch im alternativen Energiesektor. Die meisten passiven und viele aktive Anlagestrategien betreiben jedoch ein Nullsummenspiel und beschränken ihr Anlageuniversum entweder auf traditionelle Energieunternehmen oder auf neue Chancen im Bereich der erneuerbaren Energien. Wir sind der Ansicht, dass dieses Vorgehen suboptimal ist und die Definition von „Energie“ erweitert werden sollte.
Die miserable Aktienperformance traditioneller Energieunternehmen in den Jahren 2014 bis 2020, die von einer schlechten Kapitalallokation und einer Wertvernichtung angetrieben wurde, hat die Anleger verunsichert. Zudem hat die Volatilität von Anlagen in erneuerbare Energien viele zur Vorsicht veranlasst. Es ist jedoch ein Umbruch im Gange. Vor dem Hintergrund attraktiver Bewertungen, sich verbessernder Fundamentaldaten, einer besseren Kapitalallokation und disruptiver Veränderungen sind wir überzeugt, dass aktive Manager den Anlegern überdurchschnittliche Renditen bieten können. Und die Gelegenheit ist derzeit besonders günstig, da viele Anleger im Energiesektor unterinvestiert sind.
Herkömmliche und alternative Energien weisen einzigartige und differenzierte Performance-Profile auf. Seit 2013 und einschließlich seit Jahresbeginn haben sich diese beiden Sektoren in 7 von 11 Zeiträumen gegenläufig entwickelt (traditionelle Energien steigend/alternative Energien fallend und umgekehrt). Wir sind der Ansicht, dass eine Kombination beider Sektoren die Volatilität glätten und in Zukunft überdurchschnittliche risikobereinigte Renditen ermöglichen kann. Die Auswahl an Anlagenmöglichkeiten wird immer größer. Dies erhöht das Rendite- und Alpha-Potenzial insbesondere für aktive Manager, die mit Umbrüchen umgehen können.
Unserer Ansicht nach sollten Anleger den Energiesektor viel genauer unter die Lupe nehmen. Allerdings müssen sie ihr Spektrum erweitern, um der neuen Energielandschaft gerecht zu werden. Auf diese Weise lassen sich Portfolios optimieren und überlegene Anlageergebnisse erzielen.
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*) Tyler Rosenlicht, Portfolio Manager, Global Infrastructure, Cohen & Steers